Kolibri
Anstrengungen öffnete. Kalte Luft waberte heraus und verursachte Gänsehaut auf ihren Beinen.
âDie Kühlkammerâ, sagte Karl und machte Licht.
Maria trat einen Schritt vor und lieà die Kamera über die Holzregale schweifen, die den GroÃteil der Wände bedeckten. An der Decke brummten drei riesige Ventilatoren und verstärkten das Gefühl der Kälte noch.
âHier bewahren wir unsere Proben aufâ, sagte Karl und deutete auf diverse Behälter, die meisten aus schimmerndem Metall, manche aus Glas, die auf den Regalen lagen.
âMir ist kaltâ, sagte Maria und lehnte sich gegen den Türrahmen und plötzlich schien ihre linke Schulter zu explodieren. Sie sog die Luft ein und hielt den Atem für einige Sekunden an, dann stieà sie die Luft wieder aus. Schatten tanzten vor ihren Augen. Vorsichtig betastete sie die Schulter durch Bluse und T-Shirt hindurch und hätte beinahe aufgeschrieen, so scharf war der Schmerz.
âBin gleich fertigâ, sagte Karl, der von all dem nichts mitbekommen hatte. Er ging an den Regalen entlang, rückte ein paar Behälter beiseite, öffnete bei manchen den Deckel, rümpfte die Nase und stellte sie wieder an ihren ursprünglichen Platz. SchlieÃlich holte er von einem ganz hinten stehenden Regal eine Flasche zwischen zwei Glaskästen hervor, warf einen prüfenden Blick auf das Etikett, nickte zufrieden und ging wieder zur Tür, wo Maria immer noch stand, mit blassem Gesicht, die Kamera von ihrem Handgelenk baumelnd wie ein toter Roboter.
âAlles in Ordnung?â, fragte Karl und strich ihr über die Stirn, eine so vertraute Geste, dass Maria beinahe gelächelt hätte, eben nur beinahe, denn der Schmerz war immer noch zu stark.
âGeht schonâ, murmelte sie. âIch bin ein wenig erschöpft, das ist alles.â Sie verschränkte die Arme vor ihrem Körper. âUnd kalt ist mir auchâ, fügte sie hinzu. Karl wollte ihr die Hand auf die Schulter legen, aber Maria zuckte zurück und marschierte den Gang entlangRichtung Aufzug. Sie drückte den Knopf und wartete, währenddessen Karl das Licht in der Kühlkammer löschte und die schwere Tür wieder zumachte. Dann stellte er sich mit der Flasche in der Hand neben Maria.
âWas ist das?â, fragte sie.
Die Tür des Aufzugs glitt auf und sie betraten die Kabine. Während Karl den Knopf fürs Dachgeschoss drückte, hielt er Maria die Flasche hin, die das Etikett entzifferte.
âIhr bewahrt Wein in der Kühlkammer auf?â, fragte sie.
âLehner bewahrt Wein in der Kühlkammer auf.â
âWer ist Lehner?â
âDer Firmenarzt.â
Maria erinnerte sich an den alten Mann in dem altmodischen Anzug, der auf dem Platz drauÃen einen Mordswirbel veranstaltet hatte.
Sie deutete mit der Kamera auf die Flasche und fragte: âHat das einen besonderen Grund?â
âWir feiern.â
âWas denn?â
âMeine Idee.â
Maria wollte fragen, um was für eine Idee es sich denn handelte, aber sie kannte Karl gut genug, um zu wissen, dass er mit der Information genau dann rausrücken würde, wann er das wollte, und keine Sekunde früher. Sie begnügte sich damit, intelligent dreinzuschauen und so zu tun, als wäre alles klar.
Als der Lift im obersten Stock angekommen war, wollte Karl aussteigen, aber Maria hielt ihn zurück. âIch weià nicht, was du vorhastâ, sagte sie, ânur â¦â
âJa?â Das grelle Neonlicht der Deckenbeleuchtung war nicht gerade vorteilhaft für ihren Teint, dennoch blieb Karl für diese halbe Sekunde, die er brauchte, um die Frage zu stellen, die Luft weg. Maria, dachte er, hier, bei mir.
Maria blickte zu Boden, scharrte mit ihren nackten FüÃen über den gerippten Metallboden der Kabine und sagte: âWas immer duvorhast, ich meine â¦â Sie hob den Kopf. âDu musst nichts Besonderes sein. Es genügt, du selbst zu sein, verstehst du?â
Karl starrte sie ein paar Sekunden lang nachdenklich an und plötzlich fiel ihm ein, was Daniel vor kurzem zu ihm gesagt hatte, nämlich dass Leute wie Berger nur deshalb immer mit allem durchkamen, weil Leute wie Karl das zulieÃen. Schon möglich, dass das, was Karl getan hatte und noch vorhatte zu tun, falsch war, in einem simplen moralischen Sinn, nur, es fühlte sich, tief drin, dort, wo ein Stückchen Seele sich verzweifelt
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