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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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Anstrengungen öffnete. Kalte Luft waberte heraus und verursachte Gänsehaut auf ihren Beinen.
    â€žDie Kühlkammer“, sagte Karl und machte Licht.
    Maria trat einen Schritt vor und ließ die Kamera über die Holzregale schweifen, die den Großteil der Wände bedeckten. An der Decke brummten drei riesige Ventilatoren und verstärkten das Gefühl der Kälte noch.
    â€žHier bewahren wir unsere Proben auf“, sagte Karl und deutete auf diverse Behälter, die meisten aus schimmerndem Metall, manche aus Glas, die auf den Regalen lagen.
    â€žMir ist kalt“, sagte Maria und lehnte sich gegen den Türrahmen und plötzlich schien ihre linke Schulter zu explodieren. Sie sog die Luft ein und hielt den Atem für einige Sekunden an, dann stieß sie die Luft wieder aus. Schatten tanzten vor ihren Augen. Vorsichtig betastete sie die Schulter durch Bluse und T-Shirt hindurch und hätte beinahe aufgeschrieen, so scharf war der Schmerz.
    â€žBin gleich fertig“, sagte Karl, der von all dem nichts mitbekommen hatte. Er ging an den Regalen entlang, rückte ein paar Behälter beiseite, öffnete bei manchen den Deckel, rümpfte die Nase und stellte sie wieder an ihren ursprünglichen Platz. Schließlich holte er von einem ganz hinten stehenden Regal eine Flasche zwischen zwei Glaskästen hervor, warf einen prüfenden Blick auf das Etikett, nickte zufrieden und ging wieder zur Tür, wo Maria immer noch stand, mit blassem Gesicht, die Kamera von ihrem Handgelenk baumelnd wie ein toter Roboter.
    â€žAlles in Ordnung?“, fragte Karl und strich ihr über die Stirn, eine so vertraute Geste, dass Maria beinahe gelächelt hätte, eben nur beinahe, denn der Schmerz war immer noch zu stark.
    â€žGeht schon“, murmelte sie. „Ich bin ein wenig erschöpft, das ist alles.“ Sie verschränkte die Arme vor ihrem Körper. „Und kalt ist mir auch“, fügte sie hinzu. Karl wollte ihr die Hand auf die Schulter legen, aber Maria zuckte zurück und marschierte den Gang entlangRichtung Aufzug. Sie drückte den Knopf und wartete, währenddessen Karl das Licht in der Kühlkammer löschte und die schwere Tür wieder zumachte. Dann stellte er sich mit der Flasche in der Hand neben Maria.
    â€žWas ist das?“, fragte sie.
    Die Tür des Aufzugs glitt auf und sie betraten die Kabine. Während Karl den Knopf fürs Dachgeschoss drückte, hielt er Maria die Flasche hin, die das Etikett entzifferte.
    â€žIhr bewahrt Wein in der Kühlkammer auf?“, fragte sie.
    â€žLehner bewahrt Wein in der Kühlkammer auf.“
    â€žWer ist Lehner?“
    â€žDer Firmenarzt.“
    Maria erinnerte sich an den alten Mann in dem altmodischen Anzug, der auf dem Platz draußen einen Mordswirbel veranstaltet hatte.
    Sie deutete mit der Kamera auf die Flasche und fragte: „Hat das einen besonderen Grund?“
    â€žWir feiern.“
    â€žWas denn?“
    â€žMeine Idee.“
    Maria wollte fragen, um was für eine Idee es sich denn handelte, aber sie kannte Karl gut genug, um zu wissen, dass er mit der Information genau dann rausrücken würde, wann er das wollte, und keine Sekunde früher. Sie begnügte sich damit, intelligent dreinzuschauen und so zu tun, als wäre alles klar.
    Als der Lift im obersten Stock angekommen war, wollte Karl aussteigen, aber Maria hielt ihn zurück. „Ich weiß nicht, was du vorhast“, sagte sie, „nur …“
    â€žJa?“ Das grelle Neonlicht der Deckenbeleuchtung war nicht gerade vorteilhaft für ihren Teint, dennoch blieb Karl für diese halbe Sekunde, die er brauchte, um die Frage zu stellen, die Luft weg. Maria, dachte er, hier, bei mir.
    Maria blickte zu Boden, scharrte mit ihren nackten Füßen über den gerippten Metallboden der Kabine und sagte: „Was immer duvorhast, ich meine …“ Sie hob den Kopf. „Du musst nichts Besonderes sein. Es genügt, du selbst zu sein, verstehst du?“
    Karl starrte sie ein paar Sekunden lang nachdenklich an und plötzlich fiel ihm ein, was Daniel vor kurzem zu ihm gesagt hatte, nämlich dass Leute wie Berger nur deshalb immer mit allem durchkamen, weil Leute wie Karl das zuließen. Schon möglich, dass das, was Karl getan hatte und noch vorhatte zu tun, falsch war, in einem simplen moralischen Sinn, nur, es fühlte sich, tief drin, dort, wo ein Stückchen Seele sich verzweifelt

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