Kolibri
er vorsichtig über seine FuÃsohlen strich, und dachte nach. Vielleicht hatte Maria Recht. Vielleicht sollte er einfach da rausmarschieren, hocherhobenen Hauptes, und die Situation klären. Nur, das konnte er nicht. Oder, besser gesagt, er wollte nicht.
âIch geb nicht aufâ, sagte er schlieÃlich und blickte genau in die Linse der Kamera, die noch immer auf sein Gesicht gerichtet war.
âWarum nicht?â
âBergerâ, sagte Karl nur.
âVersteh ich nicht.â
âMusst du auch nicht.â
âDu willst ihm eins auswischen.â
âGenau.â
âDas ist kindisch.â
âIch weiÃ.â
âAber?â
âNichts aber. Ich war jetzt fast ein halbes Jahr lang vernünftig, und schau dir an, wohin es mich gebracht hat.â Er deutete mit angewidertem Gesicht auf die Laborgeräte, streckte seine blutigen FuÃsohlen hoch und kratzte sich am Hals. âMir reichtâs, verstehst du. Ich hab keine Lust mehr, jedes Mal, wenn jemand sagt
Spring!
, zu fragen
Wie hoch?
â
Maria lieà die Kamera sinken, ging zu Karl und legte ihm den Arm um die Schulter. Sie wollte etwas sagen, etwas Intelligentes und Einfühlsames und Vernünftiges, aber ihr fiel nichts Passendes ein. Sie hatte keine Ahnung von Karls Lebensumständen, wusste nicht, wieso er tat, was er glaubte tun zu müssen, und bevor sie sich mit einer Plattitüde lächerlich machte, blieb sie lieber stumm.
âIm Regenwaldâ, sagte Karl, âgibt es diese winzigen Vögel â¦â
âKolibris?â
âGenau. Also, diese Kolibris haben so einen schnellen Stoffwechsel, dass sie permanent fressen müssen, um nicht zu verhungern. Um die Nächte zu überleben, fallen sie in eine Art Koma und dämmern vor sich hin.â
Maria wartete und drückte Karls Schulter. Er roch nach Schweià und Angst und sein Gesicht war fleckig und seine Augen hatten diesen gehetzten Blick und sein T-Shirt war dreckig und feucht und ausgeleiert, und dennoch, wenn sie ihn so anschaute, heimlich, von der Seite, fiel ihr wieder ein, warum sie zwei Jahre mit ihm zusammen gewesen war.
âDie letzten paar Monate kam ich mir wie so ein Kolibri vor, verstehstdu? Während der Arbeit hab ich diese ganze ScheiÃe hier in mich hineingefressen und den Rest der Zeit hab ich dann quasi im Koma verbracht. Und so hab ich das irgendwie überlebt.â
âUnd jetzt?â
Karl entzog sich ihrem Arm, sprang, Schnitte in den Sohlen hin oder her, von der Arbeitsfläche und rollte mit den Schultern. âJetztâ, sagte er, âbin ich gerade aufgewacht.â
Maria biss sich auf die Unterlippe und fragte sich, was sie tun sollte. Rausgehen und den Bullen erklären, dass sich hier drin gar keine Bombe befand? Würden die ihr glauben? SchlieÃlich hatten sie nur das Wort einer Journalistin, die zufälligerweise die Exfreundin des mutmaÃlichen Bombenlegers war. Vermutlich würden sie dennoch stürmen, prophylaktisch quasi.
âDu hast vorhin gesagt, die WEGA würde vermutlich noch mal versuchen, die Fabrik zu stürmenâ, sagte Karl.
âWahrscheinlich. Ich meine, was sollen sie sonst tun?â
Karl tapste im Labor herum, kratzte sich am Hals, betastete vorsichtig die Beule an seinem Hinterkopf und dachte nach. Er brauchte eine Art Plan. Und so etwas wie ein Ziel. Etwas kurzfristig Erreichbares, konkret, mit eindeutiger Wirkung. Dank Berger befand er sich in diesem ganzen Schlamassel. Dank Berger litt er. Nun, jetzt würde Berger auch leiden. Dank Karl.
âIch hab eine Ideeâ, sagte er und lächelte.
âJa?â, sagte Maria skeptisch, der die Art von Karls Lächeln gar nicht gefiel. âDu willst doch nicht etwa wirklich eine Bombe basteln, oder? Ich meine, falls du so etwas könntest.â
Karl zuckte mit den Schultern, eine Spur zu lässig vielleicht, und sagte groÃspurig: âSicher könnte ich so etwasâ, obwohl er sich nicht so sicher war. Dann fügte er hinzu: âKeine Angst, ich bastle schon keine Bombe.â
âSondern?â
Karl grinste nur und verlieà das Labor. Trat hinaus in den Gang und schaltete das Licht ein. Maria folgte ihm, ungeduldig und mehr als nur eine Spur neugierig. Die Story versprach immer spannenderzu werden. Karl ging ein paar Meter den Gang entlang und blieb vor einer groÃen, graugestrichenen Metalltür stehen, die er unter beträchtlichen
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