Kolibri
linken Hand die Abfolge der Bilder. âUnfall in Chemiefabrik. Potentiell giftige Stoffe freigesetzt. Abzug funktioniert nicht. Mitarbeiter kommt mit den Giftstoffen in Berührung. Mitarbeiter verlangt Aussprache, Boss schmeiÃt ihn raus. Mitarbeiter sucht erneut das Gespräch.â Die Hand flatterte ein paar Sekunden in der Luft, dann sank sie herab und Maria kniff die Augen zusammen.
âWas?â, sagte Karl.
Maria biss sich auf die Lippen und blickte nachdenklich auf ihre nackten FüÃe. Dann hob sie den Kopf und sagte: âBis hierher versteh ich ja noch alles, aber dann? Was passierte dann, genau, meine ich?â
Karl stieà geräuschvoll Luft aus und lieà seine Hand geistesabwesend über die Tür der Mikrowelle gleiten. âDas hab ich dir doch gerade erzählt. Ich bin am Abend zurück in die Fabrik und hab mit Berger gesprochen.â
âUnd plötzlich waren da lauter Bullen, die glaubten, dass du eine Bombe hast?â
âGenau.â
âDu hast Berger nicht etwa gedroht, oder?â
âGedroht?â
âNa ja, dass etwas passieren
könnte
, sollte er dich nicht wieder einstellen.â
Karl dachte ein paar Sekunden lang nach, dann zuckte er mit den Schultern. âGlaub nicht.â
âDu
glaubst
?â
âIch war nicht mehr ganz nüchternâ, sagte Karl trotzig. âWar schlieÃlich fast zehn am Abend.â
âAber irgendwas musst du gesagt oder getan haben, um Berger davon zu überzeugen, dass du seine Fabrik sprengen willst. Ein hart-gesottener Geschäftsmann wie der gerät doch nicht wegen nichts in Panik.â
Karl kratzte sich am Hinterkopf, dort, wo die Beule von seinem Aufprall auf dem Boden in Bergers Büro langsam HühnereigröÃe erreichte, und dachte nach. Dann stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen und er verdrehte die Augen.
âWas?â
âMir ist grad was eingefallen.â
âNämlich?â
âNa ja, dieses Gespräch, weiÃt du â¦?â
Maria wartete ab und sagte nichts, obwohl sie Karl am liebsten gepackt und geschüttelt und zum Reden gezwungen hätte. Spuckâs endlich aus, hätte sie am liebsten gesagt, aber sie hatte genug Erfahrung im Umgang mit widerwilligen Interviewpartnern, um zu wissen, dass lange Pausen den meisten unangenehm waren und sie deshalb lieber weiterredeten, auch auf die Gefahr hin, etwas auszuplaudern, das sie eigentlich gar nicht hatten ausplaudern wollen. Also hielt sie die Kamera vor Karls Gesicht und wartete mit zusammengebissenen Zähnen, dass dieser seine endlich aufbekam.
âKönnte sein, dass ich den Unfall im Labor erwähnt habeâ, sagte Karl schlieÃlich. âUnd vielleicht hat Berger, na ja â¦â
âDich falsch verstanden?â, soufflierte Maria.
Karl nickte und kratzte sich am Hals, der wieder zu jucken begonnen hatte.
âDu wolltest ihn auf das Gefahrenpotential eines defekten Abzugs hinweisen und er hat das so verstanden, dass du seine Firma in die Luft jagen willst.â
âScheint so.â
Geistesabwesend spielte Maria mit ihrer Halskette herum, mit der Kamera immer noch vage in Karls Richtung deutend, dann trat sie einen Schritt zurück, musterte das Labor und brach schlieÃlich in schallendes Gelächter aus.
âWas?â, fragte Karl.
Maria drehte sich wieder um und sagte: âEin Missverständnis. Ganz einfach. Ein simples Missverständnis.â
Karl schwieg und betrachtete seine zerschnittenen FuÃsohlen.
âDu solltest aufgebenâ, sagte Maria. âGeh einfach mit mir da raus und erklär ihnen alles. Erzähl ihnen die ganze Geschichte, so wie du sie mir erzählt hast. Ich glaub nicht, dass dir dann viel passieren wird.â
Karl schwieg weiterhin und lieà seinen Blick durch das Labor schweifen. Bis auf ein paar Kratzer in der Wand, die wahrscheinlich von herumfliegenden Metallteilen herrührten, erinnerte nichts mehr an den Unfall, der erst, wann?, gestern stattgefunden hatte. Den Unfall, der sein Leben so plötzlich und nachhaltig verändert hatte. Vor zwei Tagen noch ein junger, gutausgebildeter Mitarbeiter einer florierenden Firma, gebunden mehr durch das Versprechen an einen alten Mann als durch die Aussicht, Karriere zu machen, und jetzt ein Krimineller, ohne Job, ohne Geld, ohne Aussicht auf eine Karriere. Und ohne Aussicht, das Versprechen, das er RocÃn gegeben hatte, zu halten. Er seufzte, während
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