Kolibri
versuchte, es nicht so herablassend oder bemutternd klingen zu lassen, wie es klang.
âIch bin kein Träumerâ, sagte Karl, âich glaube an Ideale.â
âGenau das meine ich.â
âUnd was ist daran schlecht?â
âIn der Theorie? Gar nichts. Aber im wirklichen Leben kannst du dir nicht immer aussuchen, was du tust. Manche Dinge macht man einfach, weil man sie machen muss. Oder weil man sie machen will und weiÃ, dass man sie kann.â
âAch, jetzt kommen wir der Sache näher. Dein geliebter Pragmatismus.â
âDas nennt man erwachsen werdenâ, sagte Maria.
Karl starrte sie an, versuchte, sich vorzustellen, wie sie mit dem Muttermal ausgesehen hatte, und konnte es nicht. Das Bild stellte sich in seinem Kopf einfach nicht ein. Er schaute auf den Boden, musterte seine nackten FüÃe und fragte leise: âUnd dein Bulle? Ist das so ein Pragmatiker? Keiner, der träumt und Ideale hat?â
âNatürlich hat er Träume und Idealeâ, sagte Maria und hoffte, dass das stimmte, schlieÃlich kannte sie Fritz kaum, âaber er weiÃ, was er kann und was er will.â
âAlso doch ein Pragmatiker?â
Maria nickte.
Karl lehnte sich an die Wand, schob die Lamellen der Jalousie auseinander und schaute hinaus in die hellerleuchtete Nacht. Nichts war mehr wie früher. âWeiÃt du, was ich mich manchmal frage?â, sagte er, Maria immer noch den Rücken zugewandt. âIch frage mich, ob du mich jemals geliebt hast.â
Maria erhob sich vom Sofa, ging die paar Schritte zu Karl und legte ihm die Arme um die Taille. âKarliâ, sagte sie leise, âred doch nicht so einen Unsinn. Du weiÃt, dass ich dich geliebt habe. Nur,wir sind eben zu verschieden. Das ändert aber nichts an meinen Gefühlen.â
âUnd das sagst du nicht einfach nur so?â
âAls du mir gesagt hast, dass du nach Costa Rica fährst, weiÃt du, wie oft ich da deine Nummer aufgeschrieben, durchgestrichen und wieder aufgeschrieben habe?â
âNein.â
âOft.â
âJa?â
âSehr oft.â
âSo oft?â
âJa.â
âDas ist oft.â
âStimmt.â
Karl drehte sich um, betrachtete Marias Gesicht, ohne Muttermal, dann lächelte er, legte seine Wange an die ihre und gemeinsam schauten sie aus dem Fenster, ihre Arme um seine Taille, und schwiegen.
SECHSUNDZWANZIG
âDas ist Ihre tolle Idee?â, fragte Patrick Berger und musterte Dolores Hightower mit kaum verhohlener Missbilligung. Wie konnte eine Frau, die wahrscheinlich den einen oder anderen Dollar in ihrem Leben verdient hatte, nur in solchen Klamotten herumlaufen, und das freiwillig? Diese Latzhose, John Boy Walton lässt grüÃen, dieses karierte Hemd und dann noch diese furchtbaren Sandalen, mein Gott, wieso verteilte diese Frau eigentlich nicht Sonnenbrillen bei ihren Auftritten, blickdicht, in beide Richtungen?
Vor knapp zehn Minuten, als der Bürgermeister mit seinem dümmlichen Grinsen die Ankunft von Hightower verkündet hatte,da war Patrick Berger nervös gewesen. Eine imposante Frau hatte er sich vorgestellt, und imposant war die Frau, die kurz darauf den Gemeinderatssitzungssaal betreten hatte, auch, allerdings nicht so, wie Berger sich das gedacht hatte. Schlagartig war seine Nervosität verschwunden gewesen und er hatte sich selbst im Stillen geschimpft, weil er sich wieder einmal zu früh zu viele Sorgen gemacht hatte, unnötigerweise. Aber dann ... Tja, dann hatte Hightower angefangen, in verblüffend gutem Deutsch ihren Plan zu erläutern, und plötzlich war Bergers Nervosität wieder da gewesen, stärker als zuvor, denn der Plan, verdammt noch mal, der war genial.
âWas gefällt Ihnen denn nicht an Frau Hightowers Idee?â, fragte der Bürgermeister und nahm einen Schluck von seiner Cola. Er hatte das Sakko ausgezogen und die Ãrmel seines Hemdes bis über die Ellbogen hochgekrempelt, ein Fehler, Bergers Meinung nach, denn die dürren, blassen Unterarme wirkten irgendwie obszön.
âWas mir daran nicht gefällt?â, fragte Berger, dem vor allem die Tatsache nicht gefiel, dass der Plan so verdammt gut war, gut und simpel, mit einem Wort, tödlich für ihn, Patrick Berger. Er sagte, mit einem süffisanten Grinsen: âWie wärâs damit? Er ist zu kompliziert, Ihr toller Plan, viel zu kompliziert, und das alles wird einfach zu
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