Kolibri
wieder auf dem unbequemen Stahlfass saÃ, das ihn magisch anzuziehen schien.
âWovor denn?â, fragte Maria. Sie lag auf dem Sofa, die zierlichen FüÃe auf der Lehne, die Augen halb geschlossen, und spielte mit dem Riemen ihrer Kamera, die ausgeschaltet in ihrem Schoà lag.
âDavor, ich weià nicht, normal zu werden, verstehst du?â
âGlaub schon.â
âAls ich eingezogen bin, ich meine, in den Neunten, nachdem ich von Costa Rica wieder zurück war, also, da war ein Teppichboden in der Wohnung, wahrscheinlich ist er immer noch dortâ, Karl lachte, ehe er fortfuhr, âund nur wegen dieses blöden Teppichs hab ichmir einen Staubsauger kaufen müssen, den ersten in meinem Leben. In bin in so ein kleines Elektrogeschäft in der Porzellangasse gegangen und der Verkäufer hat mir diverse Modelle vorgeführt. Oh, er war ausgesprochen nett und höflich, und dennoch bin ich mir komisch vorgekommen, so in diesem kleinen Laden herumzustehen und mir einen Staubsauger zu kaufen.â
âWieso komisch?â
âNa ja, komisch ist vermutlich das falsche Wort.â Karl seufzte angesichts der Erinnerung an diesen sonnigen, grimmigkalten Nachmittag vor rund sechs Monaten.
âSondern?â
âAltâ, sagte Karl. âIch bin mir so richtig alt vorgekommen. Alt und spieÃig. Jetzt ist es also so weit, hab ich gedacht, daran kann ich mich noch genau erinnern. Jetzt bist du dreiÃig und du kaufst einen Staubsauger und in ein paar Jahren wählst du ÃVP und dann ist es vorbei.â
Maria grinste und verdrehte die Augen.
âWas?â, sagte Karl. âPassiert dir so was nie? Ertappst du dich nie dabei, dass du etwas tust oder sagst, und plötzlich schieÃt dir durchs Hirn, dass deine Eltern genau das Gleiche tun oder sagen könnten?â
âMeine Eltern sind ziemlich okayâ, sagte Maria.
âDu weiÃt, was ich meineâ, sagte Karl verärgert und wischte den Einwand beiseite.
Leise ächzend setzte sich Maria auf, man wurde nicht jünger, da hatte Karl Recht, und frau auch nicht, legte die Kamera neben sich, rieb sich die verquollenen Augen und schaute hinüber zu Karl, der krumm wie ein Fragezeichen auf diesem unbequem aussehenden Stahlbehälter saà und den Kopf mit beiden Händen aufstützte. âIch finde, es kommt nicht nur drauf an, was man tut, sondern auch, wie man es tut und aus welchen Gründen.â
Verwirrt hob Karl den Kopf und sagte: âWas hat das jetzt mit meinem Staubsauger zu tun?â
Maria seufzte, dann stand sie vom Sofa auf, streckte sich genüsslich,warf einen Blick aus dem Fenster, nichts Neues da unten, wandte sich wieder an Karl und sagte: âWeiÃt du, worauf ich jetzt wahnsinnige Lust hätte?â
Während sie über den Platz vor dem Zentralfriedhof schlenderten, Drechsler voran, gefolgt von Widmaier, der schon wieder mit seiner Frau telefonierte, und Kollaritz und Lehner, die sich in ärztlichen Fachsimpeleien ergingen und von einer müde dahinschleichenden Nubia begleitet wurden, während sie so dahingingen, den Beamten auswichen und den zu dieser späten oder, besser gesagt, frühen Stunde immer noch oder schon wieder penetranten Vertretern der Presse, versuchte Fritz Drechsler, sich den Bauplan einer M18 Claymore-Mine vor seinem geistigen Auge vorzustellen. Er paffte eine seiner nach Nelken riechenden oder stinkenden, je nachdem, wen er fragte, Zigaretten und analysierte in seinem Kopf jedes noch so winzige Detail der Konstruktionszeichnung. Nicht dass er dachte, in Bälde so eine Mine entschärfen zu müssen, abgesehen von Ãbungsmodellen während seiner Grundausbildung hatte er noch nie eine Claymore zu Gesicht bekommen, nein, er brauchte schlichtweg eine Beschäftigung, die ihn wach hielt, und jetzt, gegen drei in der Nacht, gesättigt, halbwegs beruhigt bezüglich dessen, was die Zukunft bringen würde, die nahe, sprich, die Vorgänge in und um die Fabrik, und die fernere, sprich Maria, jetzt war er einfach so verdammt müde, dass er das Gefühl hatte, im Gehen einzuschlafen, wenn er sein Gehirn nicht mit etwas beschäftigte, und he, warum nicht mit einer amerikanischen Antipersonenmine?
SchlieÃlich blieb er stehen, nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette, ehe er sie auf den Boden fallen lieà und sie austrat, und wartete, bis Widmaier, der soeben sein Handy in die Hosentasche steckte, die beiden
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