Kolibri
warf den leeren Becher in den Mist.
Kollaritz versuchte, ein ahnungsloses Gesicht zu machen.
âDen Hund auf seine Seite ziehen, um beim Frauchen bessere Karten zu habenâ, ergänzte Widmaier.
Kollaritz lächelte gequält und kraulte Nubia hinter den Ohren. âMan muss jede Chance nützen, die sich einem bietet.â
âDas stimmt wohlâ, sagte eine Stimme hinter ihnen. âUnd hier bietet sich mir hoffentlich die Chance, etwas Ordentliches zu trinken zu bekommen.â
Sie drehten sich um, Drechsler, Widmaier und Kollaritz, nur Nubia nicht, die lag schon wieder am Boden und gähnte vor sich hin, und sahen sich einem zirka fünfzig Jahre alten Mann in einem aus der Mode gekommenen Anzug gegenüber, dessen Krawatte auf Halbmast hing.
âDarf ich mich vorstellen?â, sagte er und streckte seine Hand aus, die auffallend gepflegte Fingernägel aufwies. âLehner der Name, Josef, Doktor der Allgemeinmedizin.â
âNoch ein Arztâ, stöhnte Widmaier und fuhr sich über den Mund, um ein paar Brösel abzuwischen.
âSie haben diesen Krawall veranstaltet vor ein paar Stunden, richtig?â, sagte Drechsler und durchsuchte seine Taschen nach Zigaretten.
Lehner gab ein Lächeln von sich, das zur Hälfte gequält und zur Hälfte stolz wirkte. âNa naâ, sagte er und rückte seine Krawatte ein wenig zurecht, âKrawall ist wohl das falsche Wort. Ich hab einfach nur die Wahrheit gesagt.â
âKarl hätte wirklich sterben können?â, fragte Kollaritz leise.
âUnter gewissen Unterständen schonâ, sagte Lehner. âWenn zum Beispiel ...â
âKeine Fachsimpeleien um diese Uhrzeit, bitteâ, sagte Widmaier und beantwortete Lehners fragenden Blick, indem er ihm Daniel Kollaritz vorstellte, Kollege und bester Freund von Baumgartner.
âSehr erfreutâ, sagte Lehner und gab Kollaritz die Hand. Dann blickte er sich demonstrativ um und fragte schlieÃlich: âGlauben Sie, die haben hier was Ordentliches zu trinken?â
Kollaritz lieà seinen Blick über den Stand gleiten und sagte dann kopfschüttelnd: âFalls Sie mit ordentlich was Alkoholisches meinen, muss ich Sie, glaube ich, enttäuschen.â
âEs gibt nicht einmal Bier?â, fragte Lehner und versuchte erfolglos, beiläufig zu klingen.
âNicht einmal alkoholfreies Bierâ, sagte Kollaritz.
âWenn das so istâ, sagte Lehner und klopfte Kollaritz auf die Schulter, âwerde ich mir eben einen guten, frischgepressten Saft gönnen.â
Kurz darauf stand Lehner mit einem Becher frischem Orangensaft, den ihm der mürrische junge Mann kommentarlos in die Hand gedrückt hatte, neben dem Stand, schaute hinüber zur Fabrik, murmelte etwas, das niemand auÃer ihm verstand, und leerte den Becher in einem Zug. Drechsler, der die Aktion beobachtet hatte, fragte sich, warum, zur Hölle, der Arzt die ganze Zeit über so grinste, und er fragte sich noch etwas anderes.
âWie ist Lehner eigentlich an der Polizei vorbeigekommen?â, sagte er zu Widmaier.
âKeine Ahnung, frag ihn doch.â
Drechsler wandte sich an den Arzt und sagte: âWas mich interessieren würde, wie sind Sie an den Absperrungen und den Polizisten vorbeigelangt? Als Sie gekommen sind, war doch schon alles abgeriegelt.â
âWelche Absperrungen?â, fragte Lehner und warf den leeren Becher in den Mistkübel. âWas für Polizisten?â
Drechsler und Widmaier warfen einander einen Blick zu und lachten unisono. Vielleicht hatte Buddha recht. Vielleicht war alles eine Illusion. Drechsler, Widmaier, die Fabrik, die Bombe, die Absperrungen und die Polizisten. Vielleicht waren sie alle nur bewusstseinsbegabte Föten, die in feisten, warmen Bäuchen schlummerten und alle dasselbe träumten.
âWas meinen Sie, was sie jetzt gerade macht?â, fragte Kollaritz, der samt Hund neben Drechsler aufgetaucht war und diesen aus seinen Grübeleien riss.
âWer, Maria oder Ihre neue Freundin?â
Kollaritz hüstelte verlegen und sagte: âNa ja, eigentlich meinte ich Dolores Hightower. Wie, glauben Sie, wird sie in der kurzen Zeit so viele Münzen einsammeln?â
Drechsler, der sich bezüglich Hightowers Fähigkeiten keine Sorgen machte, zuckte nur mit den Schultern und sagte: âIch schätze, wir werden es bald erfahren.â
âDu hast dir das Muttermal über
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