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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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am Boden liegenden Arzt und fragte sich, ob er gerade einen Menschen umgebracht hatte.
    Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge und vorbei war es mit der Ruhe und Beschaulichkeit. Das Geld ist hier, tönte es von allen Ecken, der Koffer mit der Million ist da, jeden Augenblick findet die Übergabe statt.
    Mehr oder weniger zeitgleich kämpften sich Drechsler, Widmaier und Kollaritz aus ihren Liegestühlen, die während der langen und langweiligen Phase des Nichtstuns und Wartens quasi sekündlich an Bequemlichkeit gewonnen hatten, streckten sich, warfen einander einen aufmunternden Blick zu, warteten, bis Nubia so weit war, und dann marschierten sie alle vier vor Richtung Absperrung. Widmaier, in seiner Funktion als Rammbock, bildete die Vorhut, gefolgt von Drechsler, Kollaritz und der ihm nicht von der Seite weichenden Nubia.
    Schließlich waren sie bis auf wenige Meter an die Absperrung herangekommen und Widmaier verschaffte ihnen mittels einiger grimmiger Blicke und eindeutiger Gesten ein bisschen Platz, den sie sofort okkupierten. In eine dichte Menge von Journalisten und Polizisten eingebettet, beobachteten sie schweigend, wie zuerst die Limousine des Bürgermeisters die Absperrung passierte, gefolgt von Bergers BMW. Beide Autos rollten noch ein paar Meter und blieben dann stehen, um ihre Fracht auszuspucken. Der Limousine entstiegen der Bürgermeister in seinem zerknitterten Anzug, Dolores Hightower in ihrer Latzhose, der geschniegelte Qualtinger, der Bankdirektor, den sie alle vom Fernsehen her kannten, in seinem konservativen Anzug, und die beiden steingesichtigen Bodyguards, deren rechte Hände auf den Pistolen ruhten. Aus dem BMW kletterte nur ein Mann, ein sehr mitgenommen wirkender Patrick Berger, der sein Handy mit weißen Knöcheln umklammerte und zu der Gruppe um den Bürgermeister aufschloss, was sofort zu heftigen Diskussionen führte. Offensichtlich waren nicht alle der Ansicht,dass Berger hier, jetzt, etwas in seiner Fabrik zu suchen hatte. Ehe sich die Diskussion jedoch in einen handfesten Streit verwandeln konnte, tauchten Anton Kalina, der WEGA-Major, und der WEGA-Beamte namens Simon auf und kühlten die erhitzten Gemüter, indem sie sich zwischen Berger und den Bürgermeister, der sich offensichtlich am meisten gegen das Mitwirken Bergers bei der Geldübergabe aussprach, schoben.
    Nach einem weiteren kurzen Gespräch, das wesentlich ruhiger geführt wurde, war man sich anscheinend einig, denn die Gruppe setzte sich geschlossen Richtung Fabrik in Bewegung, allen voran der Bankdirektor, der, flankiert von den beiden Bodyguards, den Koffer mit der Entschlossenheit eines Missionars im tiefsten Amazonas trug. Einmal blieb Berger stehen und murmelte in sein Handy, nur um dann mit langen, gehetzten Schritten wieder den Anschluss an die Gruppe herzustellen.
    â€žSchau mal“, sagte Widmaier und deutete auf einen zirka fünfundfünfzig Jahre alten Mann in Jeans und T-Shirt, der eben einem Polizisten an der Absperrung seinen Ausweis zeigte und durchgewinkt wurde, „der kommt mir irgendwie bekannt vor, kennt den wer?“
    â€žNie gesehen“, sagte Drechsler.
    â€žDas ist der Vater von Karl“, sagte Kollaritz und winkte dem Mann zu, der mit unsicheren Schritten zu ihnen herüberkam.
    Und während sie auf den Vater von Baumgartner warteten, warf Drechsler einen Blick in die Runde, runzelte besorgt die Stirn und fragte: „Wo ist eigentlich Lehner?“
    Mudhoney
stand auf der Rückseite von Karls T-Shirt, einem verwaschenen, ausgebleichten Fetzen, und darunter eine Liste mit Städten und Daten, in denen die Grungeband aufgetreten war. An einem dieser Daten, dem vierten Oktober vierundneunzig,
Mudhoney
hatte in Boston gespielt, blieb Marias Blick hängen. Damals hatte sie gerade mit ihrem Studium begonnen oder, genauer gesagt, mit einem ihrer diversen Versuche, das richtige, optimale, einzige für siemögliche Studium zu finden. Das erste Jahr hatte sie es mit Soziologie versucht, langweilig, mit großem L. Das nächste Jahr war ganz gerecht in ein Semester Philosophie, unverständlich und langweilig, und Japanisch, unverständlich und schwierig, aufgeteilt gewesen, ehe sie sich für Publizistik in Kombination mit Politikwissenschaft entschieden hatte, ein Fach, bei dem sie sofort gespürt hatte, dass es das Richtige für sie war, und da es ihr so gut gefallen hatte, hatte sie es gleich besonders

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