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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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Gewohnheit, denn weil er eine Vorahnung hatte, einen Blick hinein und erstarrte mitten im Schritt. Da saß er, Karl Michael Baumgartner, seelenruhig, genau vor ihm, und zwar auf dem Ölbehälter. Hastig trat Schrempf einen Schritt zurück, in den Schutz der Mauer. Hatte Baumgartner Lunte gerochen? Wusste er, was sich in demBehälter befand? Oder handelte es sich schlicht um einen Zufall, eine grausame Ironie des Schicksals? Kurz drohte ihn Panik zu überwältigen, dann riss sich Bernhard Schrempf zusammen, eilte, so schnell und leise er konnte, den Gang entlang zurück zur Treppe, rief Patrick Berger an und schilderte ihm die Situation. Berger hörte aufmerksam zu, dann gab er Schrempf den Rat, der wie ein Befehl rüberkam, zu verschwinden, durchs Abflussrohr, und zwar sofort.
    â€žUnd wer kümmert sich um den Behälter?“, fragte Schrempf leise.
    â€žDas übernehme ich selbst“, antwortete Berger, „ich stehe quasi schon vor der Tür. Läuft die Zentrifuge?“
    â€žJa.“
    â€žWann ist es so weit?“
    Schrempf warf einen Blick auf seine Uhr und bemerkte einen roten, sehr ungesund aussehenden Ausschlag auf seinen Armen. Verbann es aus deinem Kopf, sagte er sich, dafür hast du jetzt keine Zeit. „Kann sich nur noch um Minuten handeln“, sagte er.
    â€žGut“, sagte Berger erstaunlich ruhig und legte auf.
    Schrempf verstaute sein Handy in der Hosentasche und rief sich den Grundriss der Fabrik ins Gedächtnis. In Ordnung. Die Treppe runter, dann rechts, den Gang entlang, ins erste Labor auf der linken Seite, dann ins Becken für die Wasseraufbereitung klettern, durchs Rohr kriechen, den Kanal entlanggehen, zurück an die Oberfläche, das war’s.
    Er machte sich auf den Weg. Als er wieder im Becken stand, spürte er, wie seine Unterarme zu jucken begannen. Die Vorstellung, noch einmal durch dieses enge, stinkende, glitschige, von Milliarden von Bakterien bevölkerte Rohr zu kriechen, ließ ihn zittern. Allein, es half alles nichts, Berger hatte gesagt, er, Schrempf, solle verschwinden, und zwar so schnell wie möglich, und da er nicht gut durch die Tür spazieren konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als auf die Knie zu gehen, den Oberkörper ins Rohr zu schieben und anfangen zu kriechen.
    Es war fürchterlich. Nach zwei Metern hatte er das Gefühl zu ersticken, nach fünf Metern glaubte er, die Haut auf seinen Unterarmen löse sich in Fetzen ab, und als er schließlich an der Stelle anlangte, an der das Abflussrohr in den Kanal mündete, sandte er ein kurzes Dankgebet gen Himmel, respektive Kanaldeckel, Atheist hin oder her.
    Den Kanal entlangzugehen war beinahe ein Spaziergang in lauschiger Natur, verglichen mit der Kriecherei im Rohr, und als er die Metallsprossen im Schacht nach oben kletterte, die ihn zurück an die Erdoberfläche bringen würden, spürte er, wie mit jedem Schritt der Druck in seinem Schädel nachließ. Er hievte den schweren, nur halb über die Gulliöffnung gelegten Kanaldecke zur Seite, krabbelte heraus, schob den Deckel mit viel Mühe an den dafür vorgesehenen Platz und wollte eben seine Arme, die fürchterlich brannten und juckten, etwas genauer in Augenschein nehmen, als ein Schatten auf ihn fiel.
    â€žWas, um Himmels willen, tun Sie da?“
    Schrempf blickte auf. Vor ihm stand Josef Lehner, sein Gesicht eine einzige Anklage. Schrempf wollte sich am Firmenarzt vorbeidrängen, doch dieser packte ihn am Ärmel und sagte: „Sie sagen mir jetzt sofort, was für eine Schweinerei Sie da unten in Gang gesetzt haben.“
    Schrempf versuchte sich loszureißen, doch der Griff von Lehner war eisenhart. Ohne zu überlegen, zerrte Schrempf die Taschenlampe aus seiner Hosentasche und ließ sie auf den Schädel des Arztes krachen. Lehner starrte Schrempf verblüfft an, dann gab er ein leises, gequältes Röcheln von sich und sackte zu Boden, wo er reglos liegen blieb.
    Erschrocken machte Schrempf einen Satz nach hinten, dann schaute er sich schnell um, ob es Zeugen für diesen Kampf gegeben hatte, was nicht der Fall war. Sollte er hier bleiben und sich um den Arzt kümmern, oder sollte er sich selbst retten, indem er sich aus dem Staub machte? Seine Beine nahmen ihm die Entscheidung ab, sie führten ihn die Straße entlang, immer weiter weg von Lehner.Irgendwann blieb Schrempf stehen, drehte sich um, musterte den nach wie vor reglos

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