Kolibri
gemacht, dass ein Nein bedeutet hätte, dass sie den Job nicht bekommen würde. Sie hatte den Kopf geschüttelt und gemeint, he, was sind schon ein paar Monate im Leben einer Frau.
Nun, jetzt waren sie vorbei, die paar Monate, und genau darüber wollte sie mit Distel reden.
âHierâ, sagte er und stellte zwei Gläser und eine kleine, frostbeschlagene Flasche Mineralwasser auf den Tisch. âBei dieser Hitze soll man viel trinken. Ist wichtig für den Kreislauf, die Haut und das Denkvermögen. Ein indischer Arzt meint sogar, dass zwei Drittel aller Zivilisationskrankheiten auf Wassermangel zurückzuführen sind. Wussten Sie das?â
Maria wusste es nicht. Sie schüttelte den Kopf, goss sich ein Glas Wasser ein und trank es in einem Zug leer.
Distel schien sich sichtlich für das Thema zu erwärmen. Er öffnete seine Aktentasche und holte einen Stoà medizinischer Fachzeitschriften heraus, die er durchblätterte. Ab und zu zitierte er irgendeinen Arzt und zeigte Maria Fotos von seltsam aussehenden Heilbehelfen, deren Zweck sich ihr entzog. Während Distel weiter mit Zitaten um sich warf, musterte Maria das frischrenovierte Büro. Der Tisch hatte die Form einer sehr flachen Ellipse und sah schnittig und dynamisch aus, was wahrscheinlich auch die Absicht war, allerdings gab es auf der Tischplatte nicht gerade viel Platz. Die Sessel aus lederbespanntem Stahlrohr waren schlicht und einfach unbequem und sahen ein wenig aus wie Regiesessel, was auch der Grund war, weshalb Distel sich für sie entschieden hatte. Der giftige Hauch von Farbe und Tapetenkleber hatte sich noch immer nicht ganz verzogen.
âInteressant, nicht wahr?â, sagte Distel, tippte gegen eine der Zeitschriften und holte eine Packung Zigaretten aus der Innentasche seines Sakkos. Er zündete sich eine an und betrachtete die Packung mit konzentrierter Miene. âEine üble Angewohnheit, ich weiÃâ, er hielt die Zigarette etwas von sich, âaber dies ist zumindest die gesündeste Form davon.â
Er warf die Packung auf den Tisch. American Spirit. Maria kannte die Marke. Der Tabak stammte angeblich aus hundertprozentig ökologischem Anbau. Die derzeit coolste Methode, Lungenkrebs zu bekommen.
Beim Anblick der Zigaretten musste sie an den gestrigen Abend denken und ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Sie war im
Europa
gewesen, hatte lässig, und ein wenig müde, an der Bar gestanden und einen Gin Tonic getrunken, als dieser Mann sich neben sie gestellt und eine nach Nelken riechende Zigarette angezündet hatte. Sie hatte ihn gemustert, zuerst heimlich, aus den Augenwinkeln, dann war sie einen halben Schritt zur Seite gegangen und hatte ihn genauer unter die Lupe genommen. GroÃ, schlank, eher breite Schultern, braungebrannt, Mitte dreiÃig. Er trug einen kurzen, struppigen Bart, der ihm nicht besonders stand und den er, ihrer Meinung nach, noch nicht allzu lange hatte, da er dauernd daran herumzupfte. Sie waren ins Gespräch gekommen, hatten ein wenig über dies und jenes geplaudert, und schlieÃlich hatte sie ihn gefragt, was er denn so mache, und er hatte ihr ein Lächeln geschenkt, das ihr Herz schneller hatte schlagen lassen, und gesagt, er entschärfe Bomben. âDu verarschst mich, oder?â, hatte sie gefragt und war ein wenig näher an ihn herangerückt, und er hatte den Kopf geschüttelt und gesagt, groÃes Pfadfinderehrenwort, und zu ihrem Erstaunen hatte sie sich fragen gehört, ob er Lust habe, mit ihr ins
B72
zu gehen. Beim Rausgehen hatte sie wissen wollen, wie er hieÃ, und er hatte gesagt, Drechsler, Fritz Drechsler.
Sie riss sich aus ihren Gedanken, füllte ihr Glas erneut, trank einen Schluck und stellte es dann mit einem lauten Geräusch ab. Distel zuckte zusammen und verschluckte sich an seinem Rauch.
âIch möchte in die Nachrichtenredaktionâ, sagte Maria und legte die Beine übereinander. Sie blickte ihm genau in die Augen.
Distel nahm einen Zug von seiner Zigarette und sagte: âIch kann Sie noch nicht in die Nachrichtenredaktion versetzen. Sie sind erst sechs Monate bei uns.â
âSie sagten, ich würde für einige Monate den Bereich Showbiz übernehmen. Nun, einige Monate sind vorbei.â
Distel tätschelte ihren Unterarm, Maria zog ihn zurück. âIch weiÃ, was ich gesagt habe. Aber, sehen Sie, alle, die in der Nachrichtenredaktion sind, haben unten angefangen,
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