Kolibri
scheià drauf, und ging zurück in die Küche, wo er die weiÃe Schachtel auf dem Tisch liegen sah. Er spülte eine Tablette mit Orangensaft hinunter, den er direkt aus dem Tetrapak trank, etwas, das seine Mutter ihm immer verboten hatte, zog sich aus und stellte sich unter die Dusche. Das heiÃe Wasser vertrieb ein wenig von dem Nebel, der durch seinen Kopf waberte. Er war erledigt, weil er zu viel geschlafen hatte, sein Hals juckte, seine Kehle war kratzig und rau, und wenn er nur an Berger dachte, fing sein Puls an zu rasen.
Mit einem Handtuch um die Hüften stellte er sich vor das von feinen Rissen durchzogene Waschbecken und rasierte sich. Er verwendete einen Damenrasierer, der eine anmutige Form und einen schicken Namen trug und mit dem er sich weniger häufig schnitt als mit den für Männer konzipierten Exemplaren. Als er fertig war, wusch er sich die Schaumreste mit warmem Wasser ab, gab ein wenig Teebaumöl auf ein Wattepad und betupfte damit Hals, Kinn und Wangen. In Costa Rica hatte er damit die Insekten ferngehalten, hier, in Wien, war diese Geste nur noch Nostalgie.
Mit knurrendem Magen öffnete er den Kühlschrank und inspizierte den Inhalt. Ein bisschen verwelktes Gemüse, ein Joghurt mit abgelaufenem Verfallsdatum, eine Flasche, in der ein gelblicher Klumpen Kondensmilch hockte. Unschlüssig verharrte er in der Küche, dann schlug er die Kühlschranktür zu und ging ins Schlafzimmer. Er schlüpfte in ein verwaschenes
Mudhoney
-T-Shirt und eine alte blaue Trainingshose, durchquerte das Schlafzimmer und stieà die hohe, zweiflügelige Verbindungstür auf. Der Raum, den er betrat, war in der Anzeige als Abstellkammer bezeichnet worden,er nannte ihn seine grüne Seele. Er hatte in einem Bastelgeschäft eine Hand voll Papierbogen, die mit einem Bambusmuster bedruckt waren, gekauft und mit Tixo an die Wände gepickt. Nun, es war nicht wie im Regenwald von Costa Rica, aber es kam dem Ganzen halbwegs nahe. Einzig die Geräusche fehlten, das Rascheln der Blätter, das Geschnatter der Affen, das ätherische Summen der Kolibris. Die Geräusche, und RocÃns raue Stimme. Er blieb stehen, schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Dann öffnete er die Augen, drehte sich um und schloss die Tür. Sofort fühlte er sich besser. Als erstes widmete er sich den beiden Palmen, die das schmale Fenster links und rechts flankierten. Er versorgte sie mit Wasser, entfernte ein paar gelbe Blätter und rückte sie schlieÃlich vom Fenster weg, um sie nicht zu sehr der Sonnenbestrahlung auszusetzen. Dann trat er einen Schritt zurück und betrachtete seine Babys. Die
Serapias cordigera
, die auf der obersten Plattform der Blumentreppe stand, zeigte einen zarten Ansatz eines Triebes, die
Anacamptis pyramidalis
, die eine Stufe darunter hockte, schleuderte ihm ihre üppigen Farben entgegen und die
Platanthera bifolia
, die dicht über dem Boden stand, wand sich wie eine sich streckende Fee in die Höhe, schlank, anmutig, mit beinahe arroganter Zurückhaltung.
Damals, als er sich zum ersten Mal mit RocÃn über Orchideen unterhalten hatte, in Costa Rica, vor fast einem Jahr, da hatte der alte Kubaner nur gelacht, als Karl erwähnte, dass er gerade versuche, eine weiÃe
Cattleya skinneri
in einem mit Orchideensubstrat gefüllten Topf zu züchten. Orchideen gehören in die freie Natur, hatte RocÃn gesagt und seine groÃen Zähne gebleckt. Steck sie in einen Topf und sie geht dir ein, garantiert. Nun, Karl hatte sie in einen Topf gesteckt und sie war prächtig gediehen. Von da an hatte RocÃn ihn mit anderen Augen betrachtet.
Er trat zur Blumentreppe und ging in die Knie. Als erstes hob er jeden Topf vorsichtig an und wog ihn in der Hand. Der Topf der
Serapias
war schwer, was bedeutete, dass sie noch kein Wasser brauchte. Die beiden anderen Töpfe fühlten sich leicht an, die Orchideen mussten gegossen werden. Er nahm die hellblaue GieÃkanne,die mit abgekochtem Wasser gefüllt war, und benetzte sorgfältig das Orchideensubstrat, das dafür sorgte, dass die Wurzeln sowohl genügend Wasser und Nährstoffe bekamen, als auch ausreichend mit Luft versorgt wurden. Orchideen, das hatte RocÃn ihm gleich am ersten Tag klar gemacht, waren sehr sensible Lebewesen. Zu viel Wasser, und die Wurzeln verfaulten in wenigen Wochen. Zu wenig Wasser, und die Pflanzen starben ab. Auch mit dem Düngen musste man vorsichtig
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