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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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verstehen Sie?“
    Sie nickte. Sie verstand genau. Unten anfangen bedeutete, den ganzen Tag am Computer zu sitzen und Nachrichten zu klopfen. Auf den Bildschirm starren und APA-Meldungen lesen. Die wichtigen rot, die halbwichtigen blau unterstrichen. Was immer interessant erschien, wurde herausgepickt und auf ein paar Zeilen zusammengekürzt. Es war eine monotone, geisttötende Arbeit.
    â€žIch hab keine Lust, Nachrichten zu klopfen“, sagte Maria und betrachtete den Teppich, der ihrer Meinung nach aussah, als stamme er aus der Kantine eines bulgarischen Atomkraftwerkes. Wenn du dieses Muster zehn Sekunden anstarrst, sagte sie sich, bekommst du Instant-Hornhautkrebs.
    Distel schenkte ihr ein gönnerhaftes Lächeln und wedelte den Rauch vor seinem Gesicht weg. „Niemand tut das gern“, sagte er, „aber es gehört eben dazu.“ Er fingerte an dem schmalen Kupferreifen herum, der sich um sein rechtes Handgelenk schmiegte und angeblich in der Lage war, fast alle der Menschheit bekannten Krankheiten zu besiegen. Der Reifen hinterließ einen grünen Streifen auf Distels Haut, der ungesund wirkte.
    â€žIch will eine Chance“, sagte Maria.
    Nachdenklich fuhr sich Distel mit der Hand über den Hals. Maria wartete. Plötzlich hielt Distels Hand inne. Seine Finger tasteten an einem winzigen Muttermal herum. Er nahm die Hand weg und beugte sich vor. „Schauen Sie sich das bitte an“, sagte er und drehte den Kopf ein wenig nach hinten, damit Maria einen besseren Blick auf die faltige, tiefbraune Haut bekam.
    â€žIch sehe nichts“, sagte Maria.
    â€žVielleicht ist es Hautkrebs“, sagte Distel und schaute Maria eindringlich an. „Wär doch möglich, oder?“
    Maria nickte. „Gehen Sie zum Arzt.“
    Distel starrte sie entgeistert an und flüsterte: „Das trau ich mich nicht.“ Plötzlich hellte sich seine Miene auf. „Warum geben Sie mir nicht einen kleinen Kuss auf den Hals? Ich bin sicher, damit wäre die Gefahr gebannt.“
    Maria stand auf und suchte nach ihrer Handtasche. „Ich hab einebessere Idee“, sagte sie, angelte sich die Tasche mit dem Fuß unter dem Tisch hervor und schlüpfte in ihre Tod’s. „Ich brenn Ihnen das Muttermal ganz einfach mit Ihrer Biozigarette weg.“
    Distel riss die Augen auf, dann schüttelte er den Kopf und lachte. „Ich wusste, dass Sie Spaß verstehen.“
    â€žWas ist mit meiner Chance?“, fragte Maria.
    Distel drückte die Zigarette aus und räumte die Zeitschriften zurück in seine Aktentasche. Dann hob er den Blick und sagte: „Bringen Sie mir dieses Maier-Interview und ich verspreche Ihnen, dass die nächste tolle Story Ihnen gehört.“
    Lächelnd ging Maria zur Tür und öffnete sie. „Danke“, sagte sie und trat hinaus in den Gang. Dann blieb sie stehen, drehte sich noch einmal um, steckte den Kopf rein und deutete auf ihren Hals. „Ich an Ihrer Stelle würde zum Arzt gehen. Schaut ganz nach Krebs aus.“

SIEBEN
    Das erste Mal war er um sieben Uhr neunundzwanzig aufgewacht, wie immer, genau eine Minute, bevor der Wecker losbrüllen konnte. Schlaftrunken war er aus dem Bett getorkelt und in die Küche getappt, wo er eine Packung Mannerschnitten hinuntergeschlungen hatte. Dann war ihm eingefallen, dass er heute erst am späten Vormittag im Labor sein musste. Der offizielle Grund war Zeitausgleich, aber Karl wusste, dass Berger versuchen würde, ein paar Leute aufzutreiben, um die Verwüstungen, die er, Karl, angerichtet hatte, wieder in Ordnung bringen zu lassen. Also hatte er sich mit einem Seufzer wieder ins Bett gelegt und sich noch eine Stunde unruhig hin und hergewälzt.
    Jetzt stand er in der Küche, hustete sich die Lungen aus dem Leib und suchte die verdammten Tabletten, die Daniel ihm gestern gegeben hatte. Er trug ein ausgeleiertes grünes Militär-T-Shirt, daser vor Jahren auf einem Flohmarkt in Berlin gekauft hatte, und blaue Boxershorts. Er versuchte sich zu erinnern, wo er die Tabletten hingetan hatte, ging zum Kleiderständer und wühlte in den Taschen seines Regenmantels, fand aber nur ein zusammengeknülltes Taschentuch. Er trottete ins Bad, ignorierte den Haufen Dreckwäsche, der in der Ecke lauerte, machte ein paar Kastentüren auf und kramte in irgendwelchem pharmazeutischen Plunder herum, allein, die richtigen Tabletten fand er nicht. Schließlich dachte er,

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