Kolibri
sein. Zurückhaltung hieà das Zauberwort, wie RocÃn mehr als einmal betont hatte. Zurückhaltung und reichliches Nachspülen mit klarem Wasser, um die Salzreste auszuwaschen. Karl kannte nur wenige Pflanzenliebhaber, die sich mit Orchideen abgaben. Den meisten waren sie schlicht zu aufwändig. Sie waren teuer, mussten dauernd umsorgt werden und reagierten auf die leichtesten Veränderungen von Sonneneinstrahlung, Zugluft oder Temperatur mit kompromisslosem Absterben. Bei einem seiner zahlreichen Monologe hatte RocÃn zu ihm gesagt, Carlos, du hast eine natürliche Begabung, was Orchideen anbelangt, also nütze sie. Orchideen sind die Königinnen der Pflanzen. Sie sind einzigartig und auf einzigartige Weise wollen sie auch behandelt werden. Du weiÃt, wie man sie behandelt. Karl, für den Orchideen seit Jahren nur eines von vielen Studienobjekten gewesen waren, hatte sich geschmeichelt gefühlt.
Nach einem abschlieÃenden prüfenden Blick stellte er die Palmen so um, dass die Wedel Schatten auf die Orchideen warfen, lieà die Jalousien ein wenig herunter und ging hinüber zum Sofa, das links neben der Tür stand. Er setzte sich, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Während sein Blick auf einem Kalender vom letzten Jahr ruhte, dessen Titelblatt einen Wasserfall zeigte, der sich in einen von Bäumen umstandenen Tümpel ergoss, tastete er mit der Linken nach dem staubigen Kassettenrekorder, der neben ihm auf dem Boden stand, und drückte auf
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. Nach kurzem Scheppern ertönte der Anfang von
Heart of Gold
.
Früher, bevor er nach Costa Rica gegangen war, hatte er Neil Young nicht gemocht. Der näselnde Gesang und das GroÃe AmerikanischePathos waren ihm auf die Nerven gegangen. Aber dort unten im Regenwald, wo er, von den Forschungskollegen abgesehen, keinen Menschen gekannt hatte und mit seinem schlechten, auf der Volkshochschule Hernals gelernten Spanisch kaum Kontakte knüpfen konnte, dort unten, eingehüllt in tiefschwarze Nacht, das Gebrüll der Affen und Schübe von Depressionen seine einzigen Gefährten, hatte er begonnen, Geschmack an den Hymnen an die GroÃe Weite, an den Balladen über heruntergewirtschaftete Kleinstädte und an der naiv-romantischen Sehnsucht nach dem Herzen aus Gold zu finden.
An einem dieser seelenmordenden Abende hatte er RocÃn kennen gelernt. Karl hatte den ganzen Tag damit zugebracht, diverse Blätter auf einem notdürftig zusammengebastelten Metallgestell über einem qualmenden Feuer zu trocknen. Gegen sechs hatte er die Schnauze voll gehabt und war in die Schlafbaracke gegangen, um sich eine Stunde hinzulegen. Die anderen, zwei Studentinnen, zwei Studenten und zwei Professoren, hatten es sich, wie an den meisten Abenden, auf der baufälligen Veranda gemütlich gemacht und vertrieben sich die Zeit mit Essen, Reden und Trinken. Karl, der sich während der ersten beiden Wochen seines Aufenthaltes des Ãfteren unter die Leute gemischt hatte, hatte schnell festgestellt, dass er auf einer anderen Wellenlänge schwang. Klar, er konnte sich mit ihnen unterhalten, über oberflächliches Zeug, er konnte über ihre Witze lachen, und manchmal lachten sie auch über die seinen, aber tief drinnen, in seinem Herzen, blieb es kalt. SchlieÃlich, nach knapp drei Wochen, hatten sich drei Pärchen gebildet und Karl hatte sich bei seinen immer seltener werdenden Besuchen auf der Veranda zunehmend wie das fünfte Rad am Wagen gefühlt. Er hatte sich mehr und mehr zurückgezogen und nach rund einem Monat hatten sich alle damit abgefunden, dass es zwei Lager gab: die Gruppe der Pärchen, und Karl.
Nach einem kurzen, unerquicklichen Nickerchen tritt er hinaus in den sterbenden Tag, trinkt die letzten tiefroten Sonnenstrahlen undgenieÃt den warmen Wind auf seinen nackten Armen. Die anderen sind unten beim Wasserfall, er kann sie lachen und schreien hören. Karl geht den schmalen Weg entlang, während sich die Dunkelheit rasch senkt und ihn nach wenigen Minuten eingehüllt hat. Nur die schmale Sichel des Mondes wirft ein wenig blasses Licht auf die Bäume. Mit Hilfe seiner kleinen Taschenlampe weicht er den Zweigen und Büschen aus, tastet sich vorsichtig vorwärts, bis er schlieÃlich zu der kleinen Lichtung gelangt, die links von ein paar Urwaldriesen und rechts von einem trüben Rinnsal gesäumt wird. Seufzend lässt er sich auf einen verrottenden
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