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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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einer relativ neuen und hochkomplexen Wissenschaft. Nun, hält das die Leute davon ab, eine Meinung zu etwas zu haben, von dem sie gar keine Ahnung haben? Nein, natürlich nicht.“ Er blieb stehen und trank einen Schluck Kaffee. „Da sitzen sie dann am Morgen am Frühstückstisch, schieben sich gebratenen Speck und Eier und Toastbrot aus Weißmehl in den Schlund, spülen das Ganze mit drei Tassen Kaffee hinunter und weil’s so gut war, gönnen sie sich anschließend noch eine kleine Zigarette. Und wenn sie dann in der Zeitung lesen, dass die Milch, die sie jeden Tag im Supermarkt um ein paar Cent kaufen, nicht aus Österreich, sondern aus Holland stammt, und das, obwohl auf der Packung ein Gebirgszugabgebildet ist, sind sie urplötzlich panisch um ihre Gesundheit besorgt und lesen mit schreckensgeweiteten Augen den Artikel ein zweites Mal, während sie dabei rauchen und Kaffee trinken.“
    Schrempf versuchte es ein weiteres Mal. Er räusperte sich und sagte: „Der Grund, weshalb ich …“
    Berger ignorierte ihn, warf stattdessen einen Blick in seine leere Tasse, stellte sie auf den Schreibtisch und lehnte sich gegen die Kante. „Vor einiger Zeit habe ich in einem sogenannten Nachrichtenmagazin den Artikel eines Dichters gegen Gentechnik gelesen. Ein Dichter, verdammt, was weiß denn ein Dichter von Gentechnik? Was tut denn ein Dichter schon den ganzen Tag? Der sitzt im Park herum, wartet auf eine Inspiration, geht heim und kritzelt ein paar Zeilen hin und hofft auf sein nächstes Stipendium.“ Er wandte sich nun direkt an Schrempf, der ein erschrockenes Gesicht machte, was Berger aber nicht auffiel. „Wenn Sie Zahnweh haben, gehen Sie zu einem Zahnarzt, richtig?“ Schrempf wagte kaum zu nicken. „Wenn Ihr Wagen kaputt ist, bringen Sie ihn in die nächste Auto-werkstatt. Und wenn Sie ein paar Antworten bezüglich Gentechnik wollen, wen fragen Sie, richtig, einen verdammten Dichter, einen Penner, der den ganzen Tag nur den Vögeln zuschaut. Wie Sie vielleicht wissen, habe ich letztes Jahr meinen Urlaub in Hongkong verbracht. Jede Menge Textilindustrie in Hongkong und jede Menge Färbereien. Und was glauben Sie, was die dort tun, in Hongkong?“ Schrempf schloss die Augen und hörte sich die Geschichte, die er schon oft gehört hatte, weiter an. „Die leiten die Abwässer einfach in den Fluss, das machen sie in Hongkong. Ein Rohr aus dem dritten Stock und das war’s. Die wissen eben, wie man ein Geschäft richtig aufzieht, diese Chinesen. Und wir, wir werden es ihnen nachmachen, Sie und ich, Schrempf! Erst Rumänien, dann Russland, dann der Rest! Schnell, nennen Sie mir ein Verb.“
    Schrempf beugte sich ein wenig vor, stützte die Ellbogen auf seine knochigen Knie und dachte angestrengt nach. Er durfte jetzt keinen Fehler machen.
    â€žHopp hopp, schneller!“, sagte Berger.
    â€žStehen“, sagte Schrempf und zuckte unsicher mit den Schultern.
    â€žStehen?“, wiederholte Berger. „Stehen!?“ Er stemmte die Hände in die Hüften und sagte: „Schrempf, ich warne Sie, treiben Sie es nicht zu weit!“
    Schrempf wischte sich den Schweiß von der Stirn. Denk nach, sagte er sich, denk nach. Ah. Jetzt hatte er etwas. „Gewinnen“, sagte er schließlich.
    Berger nickte und lächelte. „Gewinnen, wyigrywat, ja, das gefällt mir.“ Er trat zur Terrasse und blickte hinüber zum Friedhof, aber er stellte sich vor, den Kreml zu betrachten. „Wyigrywaju, wyigrywaesch …“
    Die Gegensprechanlage summte. Berger machte drei hastige Schritte zum Schreibtisch. „Ja?“, sagte er ungehalten. „Was gibt’s denn jetzt schon wieder?“
    â€žHerr Baumgartner ist hier bei mir“, sagte die Sekretärin, „und er wünscht, unverzüglich mit Ihnen zu sprechen.“
    Verdammt, auch das noch, dachte Berger und gab dem Schreibtisch einen Tritt. „Lassen Sie ihn drei Minuten warten, dann können Sie ihn reinschicken.“ Er massierte sich den Nasenrücken und atmete tief durch. Jetzt nur nichts falsch machen, sagte er sich. Das wichtigste war, einen kühlen Kopf zu bewahren, ein freundliches Lächeln aufzusetzen und diesem Revoluzzer Baumgartner das Gefühl zu vermitteln, dass alles in Ordnung sei, kein Grund zur Panik.
    Schrempf räusperte sich und wand sich auf dem unbequemen Stuhl.
    â€žWas ist denn?“, fragte

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