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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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hätte kosten können, aus der Welt geschafft, bevor sie zu einem echten Problem geworden war.
    â€žIch will mit Doktor Lehner reden“, sagte Baumgartner und schlug sich mit der Zeitung an den Oberschenkel.
    Ohne nachzudenken, sagte Berger: „Lehner ist nicht da. Er hat heute frei, das wissen Sie doch.“
    Baumgartner sah ihn scharf an. „Sein Auto steht auf dem Parkplatz. Holen Sie ihn.“
    Langsam reichte es Berger. Er spürte, wie sein Lächeln abbröckelte wie alter Putz von einer feuchten Wand. Was glaubte dieser kleine Spinner eigentlich, mit wem er es zu tun hatte? Er, Patrick Berger, würde bald der König des Ostens sein, ein Vorbild für erfolgreiche Wirtschaftsexpansion. Schlimm genug, dass er sich von dämlichen Reportern dumme Fragen gefallen lassen musste, schlimm genug, dass der Umweltstadtrat ihn quasi illegaler Aktivitäten bezichtigte, schlimm genug, dass eine zwanzigjährige Russin seine Eier langsam aber sicher zu Brei quetschte (schön wär’s). All das war schlimm genug. Aber ein gerade der Muttermilch entwöhnter Ökospinner mit billigen Klamotten, einem fürchterlichen Haarschnitt und einem arroganten Auftreten, das musste er sich nun wirklich nicht bieten lassen. Irgendwo gab es für alles eine Grenze und Baumgartner war gerade dabei, sie zu überschreiten.
    â€žNa gut“, sagte Berger und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich werde Lehner holen lassen, Sie stellen ihm Ihre Fragen und damit betrachte ich diese Angelegenheit als erledigt. Ich weiß nicht, wer der Presse diesen Unsinn über die angeblichen Giftstoffe erzählt hat, aber Sie können sicher sein, dass an der Story nicht das Geringste dran ist.“
    Baumgartner sagte nichts, sondern deutete mit der Zeitung auf das Telefon. Berger ging zum Schreibtisch und teilte seiner Sekretärin mit, dass er Doktor Lehner sprechen wolle, sofort. Dann setzte er sich auf seinen gepolsterten Ledersessel, musterte Schrempf, der versuchte, mit dem Bezug des Sofas zu verschmelzen, und warf ab und zu einen Blick auf Baumgartner, der, die Zeitung mittlerweile zu einem schweißfeuchten Ball zusammengeknüllt in seiner Hand balancierend, neben einer krank wirkenden Zierpalme stand und so aussah, als wüsste er nicht, ob er verärgert oder erleichtert sein sollte.
    Während Berger sich fragte, was Baumgartner sich von einem Gespräch mit Lehner erwartete oder erhoffte, klingelte das Telefon.Nun, klingeln war eigentlich der falsche Ausdruck, es summte dezent, auch wenn dieses Summen in Bergers Ohren in den letzten Stunden eher wie eine stechwütige Hornisse geklungen hatte. Er nahm ab und fragte, was jetzt schon wieder los sei.
    â€žEine junge Dame für Sie, Herr Berger“, sagte seine Sekretärin.
    â€žStellen Sie durch“, sagte Berger und spürte plötzlich ein heftiges Ziehen in den Lenden.
    â€žHallo?“
    Oh, wie er diese Stimme liebte! So jung, so unschuldig, so naiv. Er räusperte sich, warf Schrempf und Baumgartner, diesen beiden Eindringlingen, einen bösen Blick zu und senkte die Stimme. „Hast du mich schon vermisst, Tatjana?“, fragte er und merkte, dass er lächelte, das erste echte, von Herzen kommende Lächeln dieses Tages.
    â€žIch kann heute nicht“, sagte Tatjana.
    Berger setzte sich ruckartig auf. Schrempf, der ihn nicht aus den Augen gelassen hatte, zuckte zusammen, Baumgartner schenkte ihm ein herablassendes Grinsen.
    â€žWas soll das heißen?“, fragte Berger. „Wir hatten gestern einen Termin, du hast ihn auf heute verschoben. Heute rufst du an, um …“
    â€žMein Bruder ist gerade gekommen“, sagte Tatjana. „Er bleibt ein paar Tage und es gibt so viel, das er sehen will, verstehst du?“
    Nein, er verstand nicht. Er verstand natürlich, was Tatjana meinte, aber er hatte kein Verständnis für ihr Verhalten. Bergers Meinung nach sollte sich der verdammte Russenbruder einen Stadtplan und eine Wochenkarte kaufen und Wien auf eigene Faust erkunden. Wenn er alt genug war, den ganzen weiten Weg von Russland nach Österreich zu gelangen, ohne sich zu verirren, würde er wohl auch in Wien nicht verloren gehen.
    â€žIch ruf dich nächste Woche an“, sagte Tatjana, „versprochen.“
    Bevor er etwas erwidern konnte, hatte sie aufgelegt. Er platzierte den Hörer ganz vorsichtig auf dem Schreibtisch und zählte still bis zehn. Da das nichts

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