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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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Blick zu Karin, seiner Frau, die neben ihm saß und die Werbebeilage der Kronen-Zeitung durchblätterte. Sie war ziemlich groß, ziemlich dünn und ziemlich jung, sprich in so ziemlich jeder Hinsicht das Gegenteil von Widmaier. Drechsler hatte sich des Öfteren gefragt, wie die beiden zusammengekommen waren. Er wusste, dass sie sich auf einer Ferienmesse kennen gelernt hatten, wo sie einander buchstäblich in die Arme gelaufen waren. Es hatte sofort zwischen den beiden gefunkt, wenngleich nur Gott allein wusste, warum; er, Drechsler, wusste es nicht.
    â€žLass ihn doch, Erich“, sagte Karin. „Wenn er nicht drüber reden will …“ Sie zuckte mit den Schultern und blätterte um.
    Fritz Drechsler seufzte und warf die Kette auf den Tisch. Sie bestand aus kleinen Holzblüten, die in knalligen Farben bemalt und auf einen dünnen Draht aufgefädelt waren. „Okay“, sagte er und hob die Hände, „ihr wollt wissen, warum ich diese Kette gekauft habe?“
    Widmaier nickte, Karin blickte hoch, musterte die Kette und nickte dann ebenfalls.
    Drechsler nahm die Kette in die Hand und ließ die Blüten durch die Finger gleiten. „Als ich auf Bali war“, begann er, „hatte ich so ein Gefühl, dass ich in Kürze eine Frau kennen lernen werde, eine ganz besondere Frau. Und für diese Frau habe ich die Kette gekauft.“ Er musterte die Kette in seiner Hand, lachte dann verlegen und warf sie wieder auf den Tisch.
    â€žDas ist krank“, sagte Widmaier und verzog den Mund.
    Karin boxte ihn gegen den Oberarm und wandte sich an Drechsler. „Hör nicht auf ihn, Fritz. Der Erich hat doch keine Ahnung von solchen Dingen. Das ist das Romantischte, das ich seit langem gehört habe.“
    â€žRomantisch“, sagte Widmaier und schnaubte.
    â€žWas hast du mir als Letztes geschenkt?“, fragte Karin.
    â€žEinen Staubsauger“, sagte Widmaier.
    â€žNicht sehr romantisch“, sagte Drechsler.
    â€žAber praktisch“, entgegnete Widmaier.
    Karin lachte und fragte, ob sie noch was bestellen wollten. Drechsler deutete auf seine Coladose und schüttelte den Kopf, Widmaier orderte ein weiteres Red Bull für sich und eine Cola light für Karin.
    â€žWas ist eigentlich aus dieser Zeichnerin geworden?“, fragte Widmaier schließlich, als die Getränke gekommen waren, und lehnte sich im Schalensessel aus rotem Plastik zurück.
    â€žWelche Zeichnerin?“, fragte Karin und trank einen Schluck Cola aus der Dose.
    Drechsler, der auf den Fernseher starrte und auf die Zusammenfassung der heutigen Spiele wartete, sagte: „Er meint die Architektin. Sie ist Architektin, keine Zeichnerin.“ Er setzte sich etwas bequemer hin, trank einen Schluck und schaute sich um. Er liebte das
Kent
. Die Speisekarte bestand hauptsächlich aus Fleisch, die Preise waren moderat, das Publikum gemischt und der Fernseher riesig. Als er mit Karin und Erich die Brunnengasse entlanggegangen war, hatte er den Händlern zugeschaut, wie sie die Stände abgebaut und dabei in einem halben Dutzend Sprachen, so war es ihm zumindest vorgekommen, miteinander geredet hatten. Auf die Folien, die die aufgeschnittenen Melonen schützten, hatten die meisten Händler weiße Halbmonde gemalt, um den Einzug der Türkei ins Halbfinale der Fußball-WM zu feiern. Drechsler beneidete sie um diesen Erfolg. Die Österreicher, diese Flaschen, hatten nicht mal die Qualifikation geschafft.
    Widmaier goss sein Red Bull in ein Glas, rührte mit dem Finger um und wartete. Er trug eine graugrüne Hose, schwarze Slipper und ein ausgebleichtes graues Polohemd mit braunen Rauten auf der Brust. In seinem Nacken kräuselten sich schwarze Locken, am Hinterkopf hatte er eine münzgroße kahle Stelle.
    â€žWas ist jetzt mit dieser Architektin?“, fragte Karin und beugte sich über den Tisch.
    Drechsler seufzte. „Sie hat einen anderen Mann kennen gelernt und ist mit ihm aus Wien weggezogen.“
    â€žAch ja?“, sagte Widmaier, ein geborener und eingefleischter Wiener, streitlustig. „Wohin ist sie denn gezogen?“
    â€žNach Unna“, sagte Drechsler.
    â€žWo, zur Hölle, liegt denn Unna?“
    â€žIrgendwo in Deutschland.“
    â€žWenn eine Frau freiwillig in eine Stadt zieht, die wie eine finnische Geschlechtskrankheit heißt“, sagte Karin und tätschelte Drechslers Arm, „dann muss es sich um wahre

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