Kolibri
Blick zu Karin, seiner Frau, die neben ihm saà und die Werbebeilage der Kronen-Zeitung durchblätterte. Sie war ziemlich groÃ, ziemlich dünn und ziemlich jung, sprich in so ziemlich jeder Hinsicht das Gegenteil von Widmaier. Drechsler hatte sich des Ãfteren gefragt, wie die beiden zusammengekommen waren. Er wusste, dass sie sich auf einer Ferienmesse kennen gelernt hatten, wo sie einander buchstäblich in die Arme gelaufen waren. Es hatte sofort zwischen den beiden gefunkt, wenngleich nur Gott allein wusste, warum; er, Drechsler, wusste es nicht.
âLass ihn doch, Erichâ, sagte Karin. âWenn er nicht drüber reden will â¦â Sie zuckte mit den Schultern und blätterte um.
Fritz Drechsler seufzte und warf die Kette auf den Tisch. Sie bestand aus kleinen Holzblüten, die in knalligen Farben bemalt und auf einen dünnen Draht aufgefädelt waren. âOkayâ, sagte er und hob die Hände, âihr wollt wissen, warum ich diese Kette gekauft habe?â
Widmaier nickte, Karin blickte hoch, musterte die Kette und nickte dann ebenfalls.
Drechsler nahm die Kette in die Hand und lieà die Blüten durch die Finger gleiten. âAls ich auf Bali warâ, begann er, âhatte ich so ein Gefühl, dass ich in Kürze eine Frau kennen lernen werde, eine ganz besondere Frau. Und für diese Frau habe ich die Kette gekauft.â Er musterte die Kette in seiner Hand, lachte dann verlegen und warf sie wieder auf den Tisch.
âDas ist krankâ, sagte Widmaier und verzog den Mund.
Karin boxte ihn gegen den Oberarm und wandte sich an Drechsler. âHör nicht auf ihn, Fritz. Der Erich hat doch keine Ahnung von solchen Dingen. Das ist das Romantischte, das ich seit langem gehört habe.â
âRomantischâ, sagte Widmaier und schnaubte.
âWas hast du mir als Letztes geschenkt?â, fragte Karin.
âEinen Staubsaugerâ, sagte Widmaier.
âNicht sehr romantischâ, sagte Drechsler.
âAber praktischâ, entgegnete Widmaier.
Karin lachte und fragte, ob sie noch was bestellen wollten. Drechsler deutete auf seine Coladose und schüttelte den Kopf, Widmaier orderte ein weiteres Red Bull für sich und eine Cola light für Karin.
âWas ist eigentlich aus dieser Zeichnerin geworden?â, fragte Widmaier schlieÃlich, als die Getränke gekommen waren, und lehnte sich im Schalensessel aus rotem Plastik zurück.
âWelche Zeichnerin?â, fragte Karin und trank einen Schluck Cola aus der Dose.
Drechsler, der auf den Fernseher starrte und auf die Zusammenfassung der heutigen Spiele wartete, sagte: âEr meint die Architektin. Sie ist Architektin, keine Zeichnerin.â Er setzte sich etwas bequemer hin, trank einen Schluck und schaute sich um. Er liebte das
Kent
. Die Speisekarte bestand hauptsächlich aus Fleisch, die Preise waren moderat, das Publikum gemischt und der Fernseher riesig. Als er mit Karin und Erich die Brunnengasse entlanggegangen war, hatte er den Händlern zugeschaut, wie sie die Stände abgebaut und dabei in einem halben Dutzend Sprachen, so war es ihm zumindest vorgekommen, miteinander geredet hatten. Auf die Folien, die die aufgeschnittenen Melonen schützten, hatten die meisten Händler weiÃe Halbmonde gemalt, um den Einzug der Türkei ins Halbfinale der FuÃball-WM zu feiern. Drechsler beneidete sie um diesen Erfolg. Die Ãsterreicher, diese Flaschen, hatten nicht mal die Qualifikation geschafft.
Widmaier goss sein Red Bull in ein Glas, rührte mit dem Finger um und wartete. Er trug eine graugrüne Hose, schwarze Slipper und ein ausgebleichtes graues Polohemd mit braunen Rauten auf der Brust. In seinem Nacken kräuselten sich schwarze Locken, am Hinterkopf hatte er eine münzgroÃe kahle Stelle.
âWas ist jetzt mit dieser Architektin?â, fragte Karin und beugte sich über den Tisch.
Drechsler seufzte. âSie hat einen anderen Mann kennen gelernt und ist mit ihm aus Wien weggezogen.â
âAch ja?â, sagte Widmaier, ein geborener und eingefleischter Wiener, streitlustig. âWohin ist sie denn gezogen?â
âNach Unnaâ, sagte Drechsler.
âWo, zur Hölle, liegt denn Unna?â
âIrgendwo in Deutschland.â
âWenn eine Frau freiwillig in eine Stadt zieht, die wie eine finnische Geschlechtskrankheit heiÃtâ, sagte Karin und tätschelte Drechslers Arm, âdann muss es sich um wahre
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