Kolibri
dem war nicht so. Auch mehrmaliges heftiges Blinzeln, Fluchen und StoÃgebete halfen nichts. Die Bullen blieben, wo sie waren, genau gegenüber, auf der anderen StraÃenseite. Er spürte ein Brennen an Zeige- undMittelfinger der rechten Hand und lieà die heruntergeglühte Zigarette mit einem leisen Aufschrei fallen. Während er den schwelenden Stummel betrachtete, versuchte er, sich zum Nachdenken zu zwingen. Was wollen die von mir? Hatte es vielleicht etwas mit â¦?
Berger, dachte er plötzlich, Patrick Berger wird das schon in Ordnung bringen. Er überquerte die Terrasse und die warmen Steinfliesen unter den nackten FuÃsohlen beschworen Erinnerungen an beschauliche Abende mit RocÃn herauf, die sie am sandigen Ufer eines kleinen Urwaldflüsschens verbracht hatten, Erinnerungen, bei denen ihm schwer ums Herz wurde. An der Terrassentür hielt er inne, lächelte, dann holte er tief Luft und betrat das Büro. Er würde ihn anrufen, ganz einfach, würde ihm erklären, dass, tja, tut mir leid, Herr Berger, da unten ein paar, wie soll ich sagen, Polizisten stehen, und ich weià nicht so recht, was die von mir wollen, und könnten Sie vielleicht so freundlich sein, denen mal zu sagen, dass alles in Ordnung ist und sie wieder â¦
Verdammt! Kein Telefonverzeichnis. Karl wühlte in den Schubladen von Bergers Schreibtisch herum und förderte neben den Gegenständen, die er vorhin schon in den Händen gehabt hatte, auch einen ganzen Haufen Papiere zutage, aber keines davon entpuppte sich als Telefonverzeichnis. Versuchâs mit dem Computer, sagte er sich. Er kniete sich vor dem Schreibtisch nieder und fand nach mehreren Versuchen den Knopf, mit dem der PC zum Leben erweckt wurde, und während er darauf wartete, dass Windows hochfuhr, hörte er, wie drauÃen jemand etwas rief, anscheinend mit einem Megaphon verstärkt. Die meinen dich, dachte Karl, aber er hatte keine Lust, mit den Bullen zu reden, ehe er nicht mit Berger gesprochen hatte. Endlich war der Computer hochgefahren und Karl fragte sich, unter welchem Dateinamen Berger sein Telefonverzeichnis abgespeichert hatte, als der Bildschirm schwarz wurde und ein kleines Fenster aufging, in das er ein Passwort eintragen musste. Fluchend hackte Karl auf der Tastatur herum, aber weder Bergers Vor-, noch sein Nachname, noch eine Kombination aus beidem lieà ihn die Barriere überwinden, und nach dem dritten fehlgeschlagenenVersuch informierte ihn das Fenster, dass der Computer sich jetzt wieder ausschalten werde, was er dann nach wenigen Sekunden auch tat.
Was jetzt? Verzweifelt fuhr sich Karl durch die Haare, als sein Blick auf das schicke Telefon fiel, das neben der Tastatur stand. Ratlos starrte er auf die vielen Knöpfe, manche mit Beschriftungen versehen, manche nicht, und fragte sich, ob und falls ja, wie er das Telefonverzeichnis aufrufen konnte. Da er nie ein Handy besessen hatte, kannte er sich mit elektronischen Telefonbüchern nicht aus, und nachdem er wahllos einige Knöpfe gedrückt hatte, fiel ihm plötzlich ein, dass Berger wohl kaum seine eigene Nummer in sein eigenes Telefon einspeichern würde. Verdammt.
Während er auf Bergers Chefsessel kauerte und mit wachsender Verzweiflung das nutzlose Telefon und den nutzlosen PC anstarrte, kam ihm der Gedanke, die Fabrik nach Berger abzusuchen, aber dann fiel sein Blick auf seine blutigen FuÃsohlen und die Lust aufs Herumlaufen wurde dadurch nicht eben gröÃer und als er gerade Für und Wider abwägte, drang die megaphonverstärkte Stimme wieder ins Büro. Irgendwas wollten die Bullen von ihm und wenn er schon nicht in der Lage war, Berger zu erreichen, wäre es unter diesen Umständen vielleicht gar nicht so schlecht herauszufinden, was das war, dachte Karl und wuchtete sich mühsam aus dem Sessel. Er tappte zur Terrasse, zum hundersten Mal an diesem Abend, wie ihm schien, und trat hinaus.
Im ersten Augenblick, als er nur die sternenklare Nacht sah und die würzige Luft einatmete, fühlte er sich beinahe glücklich, so schön war dieser Anblick, aber der Moment währte nicht lange, denn die metallische Stimme, die unnatürlich laut schepperte, zerstörte ihn. Karl ging vor bis zum Rand der Terrasse, lehnte sich ans Geländer und schaute hinüber zum Platz vor dem Haupttor des Zentralfriedhofs. Die Bullen hatten sich in diesen wenigen Minuten stark vermehrt, da unten waren mindestens
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