Kolibri
legte er auf, klatschte sich ein wenig Chanel Egoiste aus der Flasche, die er für Notfälle im Handschuhfach aufbewahrte, ins Gesicht und raste Richtung Rathaus, die Laternen, die links und rechts der StraÃe nach und nach zum Leben erwachten, explodierende Sterne in seinem Gesicht. Vielleicht wäre es vernünftiger gewesen, ins Innenministerium zu fahren, aber erstens kannte er dort niemanden und zweitens würden ihn die Polizisten vermutlich als verdammten Zivilisten betrachten, der nur im Weg herumstand und dumme Fragen stellte. Im Rathaus kannte er zumindest einige Leute, und auch wenn die meisten ihm eher nicht wohlgesonnen waren, wusste er, dass er sich dort wohler fühlen würde, denn ein bekannter Feind war einem unbekannten potentiellen Freund unbedingt vorzuziehen.
Er warf einen Blick auf seine Uhr, genau zehn, und plötzlich fiel ihm ein, dass sich um diese Zeit im Rathaus wahrscheinlich niemand mehr aufhielt. Und selbst wenn, die Tür unten wäre mit Sicherheit verschlossen und die Privatnummer des Bürgermeisters kannte er nicht. Verdammt! Also doch ins Innenministerium, zu all den proletoiden Polizisten? Er lenkte den Wagen an den StraÃenrand und dachte nach. SchlieÃlich zückte er sein Handy und rief seinen Lieblingsfeind, den Umweltstadtrat, an, der nach dem dritten Klingeln dranging und mit einem spöttischen Lachen fragte, was Berger wolle. Berger schluckte seinen Ãrger hinunter und schilderte dem Umweltstadtrat in knappen Worten die Situation und schloss seinen Bericht mit der Bitte um die Privatnummer des Bürgermeisters.
âDie brauchen Sie nichtâ, sagte der Umweltstadtrat und lachte erneut.
âNatürlich brauch ich sieâ, sagte Berger.
âWo genau sind Sie jetzt?â
Berger schaute aus dem Fenster. âGanz in der Nähe vom Rathaus.â
âGut. Parken Sie in der FelderstraÃe und rufen Sie mich an, wenn Sie dort sind, dann komm ich runter und mach Ihnen auf.â
âSie sind im Rathaus, um diese Zeit?â, fragte Berger.
âIch weiÃ, das kommt für Sie überraschend, aber auch Politiker arbeiten.â
âUnd der Bürgermeister?â
âDer steht gerade neben mir und hängt Girlanden auf.â
Berger, der kein Wort verstand, wollte fragen, was eigentlich los war, aber der Umweltstadtrat hatte die Verbindung unterbrochen.
Berger fädelte sich wieder in den Verkehr ein und hatte das Rathaus nach wenigen Minuten erreicht. Er parkte den Wagen wie besprochen in der FelderstraÃe, ging um die Ecke, stieg die Treppe hinauf und fand sich vor einer dicken Holztür wieder, die verschlossen war. Er holte sein Handy heraus und rief den Umweltstadtrat an, der nach einer knappen Minute auftauchte und Berger schweigend in den Gemeinderatssitzungssaal führte.
Berger, der von dem Saal bisher nur gehört, diesen aber nie betreten hatte, blieb an der Schwelle stehen und stieà einen leisen Pfiff aus. Die Treppen, die sie heraufgegangen waren, waren mit grünem Linoleum belegt, der wohl wie Marmor aussehen sollte, was er nicht tat, es sah nur billig aus, aber das hier, puh, das wirkte nicht billig, nein, das wirkte sehr eindrucksvoll. Es war wie eine Kirche zu betreten. Der Boden war mit einem dunkelroten Teppich bedeckt, die halbkreisförmig angeordneten Bankreihen bestanden aus dunklem, auf Hochglanz poliertem Holz, die Fenster, die sich gegenüber vom Eingang befanden, waren aus Buntglas und sie waren riesig. Berger hob den Blick. Links und rechts gab es eine Galerie mit farbenprächtigen Gemälden an den Wänden dahinter. Die Decke, die über zehn Meter hoch sein musste, war aus dunklem Holz. In der Mitte der Decke hing der gröÃte Luster, den Berger je gesehen hatte,ein wahres Monstrum aus Glas, das gute fünf Meter im Durchmesser hatte.
âIst das da oben Gold?â, fragte er und deutete mit dem Kinn an die Decke. Karl Michael Baumgartner und seine Bombe hatte er im Moment vergessen. Was er hier sah, war ein lebendig gewordener Traum. So wollte Patrick Berger in Zukunft leben, nun, nicht ganz so pompös und, na ja, altmodisch, aber in einem genauso eindrucksvollen Ambiente.
Der Umweltstadtrat nickte. âBlattgold. Wegen der Akustik. Früher gabâs hier nämlich keine Mikrophone.â
Mit ehrfürchtig an die Decke gehobenem Blick betrat Berger den Saal, gefolgt vom Umweltstadtrat. Sie fanden den Bürgermeister an ein Rednerpult gelehnt,
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