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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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neuen Abwasserrohr, das vor wenigen Monaten eingebaut worden ist, kriechen dieses Rohr entlang bis zum Sammelbecken für Abwasser und schon sind Sie in der Fabrik. Dann müssen Sie nur noch unbemerkt in mein Büro gelangen, den Behälter aus dem Safe holen, mit dem Öl wieder runter in den Keller, zurück in den Kanal und das war’s. Mehr nicht, hatte Schrempf gejapst und das Handy mit schreckgeweiteten Augen angestarrt und Berger hatte gelacht und gemeint, ich weiß, ein Kinderspiel, und jetzt machen Sie sich an die Arbeit. Unter der Bedingung, die Bombe nicht auch noch suchen zu müssen, hatte sich Schrempf schließlich dazu bereit erklärt.
    Berger hatte Recht gehabt, es würde ein Kinderspiel werden. Bis auf ein paar Kleinigkeiten. Zum Beispiel die Tatsache, dass das in die Fabrik führende Rohr nur einen Durchmesser von einem knappen Meter aufwies. Schrempf würde auf dem Bauch liegend reinrobben müssen und bei dem bloßen Gedanken an die diversen Rückstände wurde ihm schon schlecht. Dazu kam, dass das Rohr mit einem Gitter gesichert war, das aufgeklappt werden konnte, vorausgesetzt, man besaß einen Schlüssel für das Vorhängeschloss, was nicht der Fall war. Schrempf hatte kurz nachgedacht und sich dann in das evakuierte Gasthaus geschlichen, das sich gegenüber vom Zentralfriedhof befand, hatte mit klopfendem Herzen diverse Schubladen, Kästen und Abstellkammern durchsucht und schließlich eine imposante Taschenlampe und eine kleine Eisensäge gefunden und beides an sich genommen.
    Genau diese Säge brauchte er jetzt, da er am Gitter angekommen war, und er konnte nur hoffen, dass der rostzerfressene Bügel und das stumpfschimmernde Sägeblatt eine optische Täuschung waren. Das Gitter bestand aus unterarmdicken, rotlackierten Eisenstäben, die grob zusammengeschweißt worden waren. Nach mehreren Monaten in der feuchten unterirdischen Luft begann die Farbe bereits abzublättern und als Schrempf, mit der Taschenlampe im Mund, nach dem kleinen Vorhängeschloss griff, rieselten rote Lackflocken herab und verschwanden in der Dunkelheit. Er setzte die Säge an und machte sich an die Arbeit. Es ging schwer voran. Der kleine, mattglänzende Bügel des Schlosses glitt ihm immer wieder aus den Fingern, das Sägeblatt war so stumpf, wie es aussah, und dazu kam, dass Schrempf nicht unbedingt mit großen Körperkräften gesegnet war. Schwitzend, keuchend und im Stillen fluchend – machte er den Mund auf, würde ihm die Taschenlampe rausfallen – sägte er mit der Verbissenheit eines zum Tode Verurteilten, dem sich eine finale Chance eröffnet hatte, und schließlich, seine Finger waren blasenübersät, gab der Bügel des Schlosses mit einem Knirschen nach. Schrempf atmete erleichtert auf, warf die nun nutzlose Säge auf den schmalen Steg und trat einen Schritt zur Seite, um dasGitter, das obszön schwer war, aufzuschwingen. Quietschend glitt es nach links und blieb auf halbem Weg stehen. Schrempf nahm die Taschenlampe aus dem Mund und leuchtete so weit in das Abflussrohr hinein, wie es ging. Viel sah er nicht. Die stumpfgrauen Wände waren, genau wie er befürchtet hatte, zum Teil von grünlichem Schleim bedeckt, der Boden mit einer düsteren grauen Suppe. Er hielt inne und dachte nach. Schau dich an, sagte er sich. Hier stehst du, in einem Abwasserkanal, es stinkt, es ist heiß, Ratten flitzen zwischen deinen Beinen hindurch und mit ein klein wenig Fantasie könnte dieser dunkle Schatten dort hinten das Maul eines mutierten Killeralligators sein, der noch nicht zu Abend gegessen hat. Seufzend schüttelte er den Kopf. Es nützte nichts, er musste dort rein, musste diesen verfluchten Behälter rausschaffen, musste verhindern, dass der Firma noch mehr Schaden zugefügt wurde. Berger hatte ihn immer gut behandelt und er, Bernhard Schrempf, würde ihn jetzt nicht im Stich lassen.
    Er steckte sich die Taschenlampe wieder in den Mund, ließ sich auf die Knie nieder und legte sich schließlich flach auf den Bauch. Es war nicht so eng, wie er befürchtet hatte, nur der Gestank, der war fürchterlich. Ohne es zu wollen und ohne es verhindern zu können, analysierte sein chemisch gebildeter Verstand die mögliche Zusammensetzung des Schleims und der Brühe, und mit jedem Meter, den er vorwärts robbte, kam ihm eine neue toxische Verbindung in den Sinn, die dem Körper in

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