Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
Vom Netzwerk:
ehe sie sich zurücklehnte und die Augen schloss.
    Karl musterte sie, wie sie so dasaß, ihr kurzes dunkles Haar schweißnass, das Gesicht ein wenig angespannt, Arme und Beine braungebrannt. Für ihn war die Überraschung groß gewesen, als er, unten in der Produktionshalle, entdeckt hatte, wer die auf dem Boden liegende Frau, die sich angesichts des Tränengases die Seele aus dem Leib hustete, war. Seltsamerweise hatte er im ersten Moment so etwas wie Erleichterung verspürt, die Frau war nicht nur keine Polizistin, die ihm an den Kragen wollte, sondern zudem noch jemand, den er kannte. Die Erleichterung war für einen heißen Augenblick in Wut umgeschlagen, als er sich an die vielen vergeblichen Versuche erinnert hatte, mit Maria nach seiner Rückkehr aus Costa Rica Kontakt aufzunehmen, und jetzt, ausgerechnet jetzt, lag sie hier vor ihm; sie kam ihm wie ein Eindringling vor.
    Auf dem Weg nach oben, in Patrick Bergers Büro, in dem sie jetzt saßen, hatten sie wenig gesprochen. Maria hatte nur ab und zu den Kopf geschüttelt und gehustet, Karl hatte sie aus den Augenwinkeln gemustert, die kleine Kamera, den um den Hals hängenden Presseausweis und diese seltsame Halskette, die sie umklammerte, registriert. Im Büro angekommen, war Maria sofort im Bad verschwunden und Karl hatte Bergers Kühlschrank geplündert.
    â€žDu arbeitest also fürs Fernsehen“, sagte Karl schließlich und trank noch einen Schluck Wasser, das seine Kehle hinabglitt wie zerstoßenes Eis und seinen Magen gefrierfrostete.
    Maria öffnete die Augen und nickte. Die Jalousien waren immer noch heruntergelassen und durch die schmalen Ritzen zwischen den Lamellen sickerte grelles weißes Licht ins Büro, das den Raum in willkürlich arrangierte Flächen aus Hell und Dunkel verwandelte.
    Karl fielen tausend Dinge ein, die er sie fragen wollte, wie geht es dir, was hast du so gemacht, bist du mit jemandem zusammen,schließlich hatte er sie ein ganzes Jahr lang nicht gesehen, aber er hatte den Eindruck, jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, die Vergangenheit aufzuwärmen und Vergleiche bezüglich ihrer beider Leben anzustellen. Später, vielleicht. Jetzt begnügte er sich damit, sie anzuschauen und dem Klopfen seines Herzens zu lauschen. Er schnalzte mit der Zunge und nahm noch einen Bissen Lachs, den er mit einem großzügigen Schluck Wasser hinunterspülte.
    â€žDeine Mutter hätte sicher mit dir geschimpft“, sagte Maria und lächelte schelmisch. „Lachs ohne Brot.“ Sie schüttelte den Kopf in gespielter Missbilligung.
    Karl spürte, wie er rot wurde. Er hustete zweimal trocken, ehe er sagte: „Ich hatte Hunger und Brot war keins da.“
    Maria kratzte sich im Nacken und lachte.
    â€žWas?“, sagte Karl und schob sich demonstrativ einen extrafetten Happen Lachs in den Mund, den er, fast ohne zu kauen, hinunterwürgte.
    Maria beugte sich vor, wobei sich ihr Gesicht schmerzhaft verzog, dann deutete sie mit dem Finger auf Karl und sagte: „Es war ein ziemlicher Schock für mich, da unten zu stehen, zur Terrasse hinaufzuschauen und festzustellen, dass es sich bei dem verrückten Bombenleger ausgerechnet um Karl Michael Baumgartner handelt.“
    Karl trank einen Schluck Perrier, um damit den Lachs, der in seinem Hals festzustecken schien, runterzuspülen. „Jetzt fängst du auch mit dieser Bombe an“, sagte er.
    â€žNatürlich“, sagte Maria. „Glaubst du, ich schleich mich hier rein und riskiere Gefängnis, Verstümmelung oder den Tod wegen einer langweiligen Alltagsgeschichte? Du bist im Moment die heißeste Story in Wien, wahrscheinlich sogar in ganz Europa. Durchgeknallter Angestellter verschanzt sich mit einer Bombe in einer Chemiefabrik, die sich ausgerechnet gegenüber dem Zentralfriedhof befindet. Du solltest dir einen Agenten nehmen, der sich um die Filmrechte kümmert.“
    Karl wollte etwas entgegnen, wurde aber von einem plötzlichen Hustenanfall gepackt. Nach einer halben Minute, als er wieder halbwegsnormal atmen konnte, lehnte er sich erschöpft in dem herrlich weichen Sessel zurück und nieste.
    â€žDu niest wie deine Mutter“, sagte Maria und betastete ihre linke Schulter.
    â€žWoher weißt du, wie meine Mutter niest?“, sagte Karl heftiger als beabsichtigt. Er war verschwitzt, sein Hinterkopf pochte vom Aufprall auf den Boden, seine Augen brannten. Mit einem

Weitere Kostenlose Bücher