Kollaps
sich eine einzige Dürreperiode um das Jahr 800 n. Chr. vorstellen, die sich gleichermaßen auf das ganze Gebiet auswirkte und zur gleichen Zeit für den Niedergang aller Mayazentren sorgte. Aber wie wir bereits erfahren haben, trat der klassische Zusammenbruch in den einzelnen Zentren zu geringfügig unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen 760 und 910 n. Chr. ein, während andere Zentren verschont blieben. Deshalb stehen viele Mayaexperten der Vorstellung, die Dürre könne eine Rolle gespielt haben, skeptisch gegenüber. Aber bei angemessener Vorsicht würde ein Klimaforscher die Dürrehypothese auch nicht in dieser wenig plausiblen, übermäßig vereinfachten Form vertreten. Aus den Sedimentschichten, die von den Flüssen alljährlich in Küstennähe in die Meeresbuchten gespült wurden, kann man die Schwankungen in der Niederschlagsmenge von Jahr zu Jahr genauer ablesen. Dabei gelangt man zu dem Schluss, dass »die Dürre« um 800 n. Chr. in Wirklichkeit vier Höhepunkte hatte, von denen die beiden ersten weniger schwer wiegend waren: zwei trockene Jahre um 760 n. Chr. dann ein noch trockeneres Jahrzehnt von 810 bis 820 n. Chr. drei trockene Jahre um 860 n. Chr. und sechs nochmals trockenere Jahre um 910 n. Chr. Interessanterweise zog Richardson Gill aus den letzten Daten auf Steindenkmälern in verschiedenen großen Mayazentren den Schluss, dass der Zusammenbruch an den einzelnen Orten zu unterschiedlichen Zeitpunkten eintrat, wobei man Häufungen um 810, 860 und 913 n. Chr. beobachtet; dies stimmt mit den Daten der drei besonders schweren Dürreperioden überein. Dass es in einem bestimmten Jahr an verschiedenen Orten unterschiedlich trocken war, wäre alles andere als verwunderlich; demnach führte eine Abfolge trockener Jahre in den einzelnen Mayazentren zu unterschiedlichen Zeitpunkten zum Zusammenbruch, und Zentren mit zuverlässiger Wasserversorgung aus Cenotes, Brunnen und Seen blieben verschont.
Am stärksten waren die Niederungen des Südens vom klassischen Zusammenbruch betroffen, und das aus zwei Gründen, die bereits erwähnt wurden: Es war das Gebiet mit der größten Bevölkerungsdichte, und die Wasserknappheit dürfte hier am stärksten gewesen sein, weil es so hoch über dem Grundwasserspiegel lag, dass man kein Wasser aus Cenotes oder Brunnen gewinnen konnte, wenn der Regen ausblieb. In dieser Region ging die Bevölkerung während des klassischen Zusammenbruches um 99 Prozent zurück. So hatte beispielsweise das zentrale Gebiet von Peten verschiedenen Schätzungen zufolge auf dem Höhepunkt der klassischen Periode zwischen drei Millionen und 14 Millionen Einwohner, aber als die Spanier kamen, waren nur noch etwa 30 000 Menschen übrig. Als Cortez und seine spanische Armee in den Jahren 1524 und 1525 durch das Gebiet zogen, wären sie fast verhungert, weil sie nur wenige Dörfer fanden, in denen sie sich Mais beschaffen konnten. Cortez kam in wenigen Kilometern Entfernung an den Ruinen der großen, klassischen Städte Tikal und Palenque vorüber, aber er sah und hörte davon nichts, weil sie vom Dschungel überwuchert waren und fast niemand in ihrer Nähe lebte.
Wie konnte eine derart riesige Bevölkerung von mehreren Millionen Menschen verschwinden? Die gleiche Frage haben wir in Kapitel 4 auch bereits im Zusammenhang mit der (zugegebenermaßen kleineren) Anasazi-Bevölkerung im Chaco Canyon gestellt. Ziehen wir die Parallele zu den Anasazi und späteren Gesellschaften der Pueblo-Indianer, die im Südwesten der heutigen USA ebenfalls Trockenperioden erlebten, so können wir zu dem Schluss kommen, dass einige Maya aus dem südlichen Tiefland überlebten, weil sie sich in den nördlichen Teil von Yucatan flüchteten, wo es Cenotes oder Brunnen gab und wo die Bevölkerung zur Zeit des Maya-Zusammenbruches rapide zunahm. Aber genau wie nichts dafür spricht, dass Tausende von Anasazi-Flüchtlingen als Einwanderer in die überlebenden Pueblos aufgenommen wurden, so gibt es auch keine Anhaltspunkte, dass die Millionen Maya aus den südlichen Tiefebenen überlebten und als Einwanderer im Norden eine neue Heimat fanden. Wie in den Dürreperioden im Südwesten der heutigen USA, so ging auch die Maya-Bevölkerung sicher zum Teil dadurch zurück, dass Menschen verhungerten, verdursteten oder sich im Streit um die immer knapperen Ressourcen umbrachten. Auf der anderen Seite dürfte sich in der Abnahme auch die Tatsache widerspiegeln, dass die Geburtenrate oder der Anteil überlebender Kinder im Lauf
Weitere Kostenlose Bücher