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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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der König wurde gefangen genommen und getötet. Später gewann Tikal aber wieder zunehmend an Stärke, und 695 n. Chr. lange bevor der Ort wie viele andere Städte der Maya den klassischen Zusammenbruch erlebte (die letzten datierten Denkmäler aus Tikal stammen aus dem Jahr 869 n. Chr.), konnte es seine Widersacher unterwerfen. Auch die Macht von Copan nahm bis zum Jahr 738 n. Chr. zu, aber dann wurde sein König Waxaklahuun Ub’aah K’awil (ein Name, der den heutigen Maya-Fans besser in seiner unvergesslichen Übersetzung »18 Kaninchen« bekannt ist) von der konkurrierenden Stadt Quirigua gefangen genommen und zum Tode verurteilt; in den folgenden 50 Jahren jedoch gedieh Copan unter Königen, die eine glücklichere Hand hatten.
    Und schließlich spielten sich Aufstieg und Fall der Städte in den verschiedenen Teilen des Mayagebietes unterschiedlich ab. So war beispielsweise die Region von Puuc im Nordwesten der Halbinsel Yucatan um das Jahr 700 n. Chr. fast menschenleer; nach 750 n. Chr. als die Städte im Süden zusammenbrachen, nahm die Bevölkerung dort explosionsartig zu, erreichte zwischen 900 und 925 n. Chr. ihren Höhepunkt und ging dann zwischen 950 und 1000 n. Chr. stark zurück. El Mirador, ein riesiger Ort in der Mitte des Mayagebietes mit einer der größten Pyramiden der Welt, wurde um 200 v. Chr. besiedelt und ungefähr 150 n. Chr. lange vor dem Aufstieg von Copan, wieder aufgegeben. Chichen Itza im Norden der Halbinsel wuchs nach 850 n. Chr. und war um 1000 das wichtigste Zentrum im Norden, aber um 1250 wurde es in einem Bürgerkrieg zerstört. Manche Archäologen stellen diese fünf Komplikationen in den Vordergrund und sprechen überhaupt nicht von einem klassischen Zusammenbruch der Maya. Dabei übersehen sie aber offenkundige Tatsachen, die eine Erklärung verlangen: das Verschwinden von 90 bis 99 Prozent der Mayabevölkerung nach 800 n. Chr. insbesondere in den zuvor dicht besiedelten Niederungen des Südens, und das Verschwinden von Königen, Langkalender und anderen komplexen politischen und kulturellen Institutionen. Deshalb ist hier von einem klassischen Zusammenbruch der Maya die Rede, und dieser Niedergang, der sowohl die Bevölkerung als auch die Kultur betraf, bedarf einer Erklärung.
    Auch zwei andere Phänomene, die ich als verursachende Faktoren für den Zusammenbruch der Maya kurz erwähnt habe, erfordern eine genauere Erörterung: Krieg und Dürre.
    Lange Zeit glaubten die Archäologen, die alten Maya seien ein sanftmütiges, friedliches Volk gewesen. Heute wissen wir, dass es zwischen ihnen ständig heftige, unlösbare kriegerische Konflikte gab, denn wegen der Beschränkungen bei Nahrung und Transportmitteln konnte kein einzelnes Maya-Fürstentum die gesamte Region zu einem großen Reich vereinigen. Aus den archäologischen Befunden kann man ablesen, dass die Kriege umso heftiger und häufiger wurden, je näher der klassische Zusammenbruch rückte. Den Beleg liefern mehrere Entdeckungen aus den letzten 55 Jahren: Archäologische Ausgrabungen förderten rund um viele Siedlungen der Maya massive Befestigungen zu Tage; auf steinernen Denkmälern und den berühmten Wandmalereien, die man 1946 in Bonampak entdeckte, finden sich lebhafte Darstellungen von Krieg und Gefangenen; und nachdem man die Schrift der Maya entziffert hatte, stellte sich heraus, dass Könige in vielen Inschriften mit ihren Eroberungen prahlen. In den Kämpfen versuchten die Könige, sich gegenseitig gefangen zu nehmen, und einer der unglückseligen Verlierer war der zuvor erwähnte König »18 Kaninchen« von Copan. Aus den Denkmälern und Wandmalereien geht deutlich hervor, wie grausam die Gefangenen gefoltert wurden: Man riss ihnen die Finger aus den Gelenken, zog ihnen Zähne, schnitt den Unterkiefer ab, trennte Lippen und Fingerspitzen ab, zog die Fingernägel heraus und trieb Stifte durch die Lippen. Den Höhepunkt bildete (manchmal erst mehrere Jahre später) die Opferung des Gefangenen auf ebenso unangenehme Weise - dem Delinquenten wurden beispielsweise in gekrümmter Haltung Arme und Beine zusammengebunden, und dann ließ man ihn die steile Steintreppe eines Tempels hinunterrollen.
    Die Kriegführung der Maya umfasste mehrere gut belegte Arten der Gewalt: Kriege zwischen verschiedenen Königreichen, Aufstände einzelner Städte innerhalb eines Königreiches, um sich von der Hauptstadt abzuspalten, und Bürgerkriege aufgrund gewalttätiger Versuche potenzieller Könige, den Thron zu besetzen. Alle

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