Kollaps
mehrerer Jahrzehnte sank. Die Entvölkerung war also vermutlich sowohl auf eine höhere Sterblichkeit als auch auf eine geringere Geburtenrate zurückzuführen.
Wie an anderen Orten, so ist die Vergangenheit auch im Gebiet der Maya eine Lehre für die Gegenwart. Seit der Zeit der ersten Spanier ging die Bevölkerung des zentralen Gebietes von Peten weiter zurück, bis dort 1714 nur noch rund 3000 Menschen lebten; alle anderen waren durch Krankheiten oder aus anderen Gründen, die mit der spanischen Eroberung zu tun hatten, gestorben. Bis zu den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts war die Bevölkerung des gleichen Gebietes wieder auf 25 000 gestiegen, aber auch das war noch nicht einmal ein Prozent der Zahl auf dem Höhepunkt der klassischen Mayaperiode. Danach strömten immer mehr Einwanderer nach Peten, sodass sich bis in die achtziger Jahre eine Bevölkerung von rund 300 000 Menschen angesammelt hatte und eine neue Ära der Waldzerstörung und Erosion in Gang setzte. Heute ist wiederum die Hälfte des Peten entwaldet und ökologisch zerstört. Von 1964 bis 1989 wurde in Honduras ein Viertel aller Waldflächen abgeholzt.
Wenn wir den klassischen Zusammenbruch der Mayagesellschaft zusammenfassen wollen, können wir vorläufig fünf Vorgänge unterscheiden. Ich muss allerdings einräumen, dass die Maya-Experten unter den Archäologen sehr unterschiedlicher Ansicht sind - teilweise deshalb, weil die einzelnen Faktoren in den verschiedenen Teilen des Mayagebietes von unterschiedlich großer Bedeutung waren, teilweise aber auch, weil nur manche Orte der Maya archäologisch eingehend untersucht sind und weil es nach wie vor ein Rätsel ist, warum große Teile des Maya-Kernlandes fast menschenleer blieben und sich nach dem Zusammenbruch nicht erholten, obwohl die Wälder nachgewachsen waren.
Trotz solcher Vorbehalte sieht es er für mich so aus, als ob das Bevölkerungswachstum, das die verfügbaren Ressourcen überforderte, einer dieser Faktoren war. Das Dilemma ähnelte jenem, das Thomas Malthus 1798 prophezeite und das sich heute in Ruanda (Kapitel 10), Haiti (Kapitel 11) und anderswo manifestiert. Der Archäologe David Webster formuliert es kurz und bündig so: »Zu viele Bauern haben in einem zu großen Teil der Landschaft zu viele Nutzpflanzen angebaut.« Zu diesem Missverhältnis zwischen Bevölkerungszahl und Ressourcen kam dann der zweite Faktor hinzu: Waldzerstörung und Erosion der Berghänge, die zu einem Rückgang der nutzbaren Ackerflächen führte, und das zu einer Zeit, in der nicht weniger, sondern mehr landwirtschaftliche Flächen gebraucht wurden; verstärkt wurde der Effekt möglicherweise durch die Trockenheit, die die Menschen durch die Waldzerstörung herbeigeführt hatten, aber auch durch Nährstoffmangel im Boden und andere Bodenprobleme sowie durch die Bemühungen, Farne am Überwuchern der Felder zu hindern.
Der dritte Faktor waren die Kämpfe, die von immer mehr Menschen um immer weniger Ressourcen ausgefochten wurden. Die Kriege, unter denen die Maya schon immer gelitten hatten, erreichten kurz vor dem Zusammenbruch ihren Höhepunkt. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass mindestens fünf Millionen Menschen, vielleicht aber auch viel mehr, in einem Gebiet von der Größe der Bundesrepublik Deutschland vor der Wiedervereinigung (248 000 km 2 ) zusammengedrängt waren. Durch den Krieg schrumpften die verfügbaren landwirtschaftlichen Nutzflächen noch weiter, weil zwischen den einzelnen Fürstentümern breite Streifen von Niemandsland entstanden, wo der Ackerbau gefährlich gewesen wäre. Zu allem Überfluss kam dann als weiterer Faktor der Klimawandel hinzu. Zurzeit des klassischen Zusammenbruches erlebten die Maya nicht zum ersten Mal eine große Dürre, aber es war die schwerste von allen. In früheren Trockenperioden hatte es im Gebiet der Maya noch unbewohnte Gegenden gegeben, sodass die Bewohner eines Ortes, der durch die Dürre gefährdet war, sich durch Auswanderung in andere Gegenden retten konnten. Zur Zeit des klassischen Zusammenbruchs dagegen war die Landschaft vollständig besiedelt; leere, nutzbare Gebiete, in denen man hätte neu anfangen können, gab es nicht mehr, und die wenigen Gebiete, die nach wie vor über eine zuverlässige Wasserversorgung verfügten, konnten nicht die gesamte Bevölkerung aufnehmen.
Was den fünften Faktor angeht, so müssen wir die Frage stellen, warum die Könige und Adligen diese offenkundigen Probleme, die ihre Gesellschaft
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