Kollaps
durch eine Walddecke geschützt. Als der natürliche Grasteppich beseitigt oder abgeweidet war, wurde der Boden, der ursprünglich aus vom Wind verwehter Asche entstanden war, erneut der Winderosion ausgesetzt. Außerdem konnte Wasser, das entweder nach Niederschlägen oder als Schmelzwasser bergab floss, tiefe Gräben in den nun nackten Boden ziehen. Wenn sich solche Gräben entwickelten und der Grundwasserspiegel von ihrer Oberkante bis zur tiefsten Stelle sank, trocknete der Boden aus, sodass er für die Winderosion noch anfälliger wurde. Schon kurz nach der Besiedlung wurde der Boden Islands vom Hochland in die Niederungen und ins Meer transportiert. Im Hochland gab es nun weder Boden noch Vegetation, und die früheren Wiesen im Landesinneren Islands wurden durch Mensch und Vieh zu der Wüste, die man heute dort vorfindet; später entwickelten sich auch in den Niederungen große erodierte Gebiete.
Heute müssen wir uns fragen: Warum um alles in der Welt bewirtschafteten diese törichten Siedler ihr Land so, dass derart offenkundige Schäden eintraten? War ihnen nicht klar, was geschehen würde? Ja, am Ende erkannten sie es, aber anfangs war das nicht möglich, denn sie standen im Zusammenhang mit der Landbewirtschaftung vor einem unbekannten, schwierigen Problem. Von Vulkanen und heißen Quellen abgesehen, sah Island den Regionen in Norwegen und Großbritannien, aus denen die Siedler ausgewandert waren, sehr ähnlich. Die Wikinger konnten nicht wissen, dass Boden und Vegetation in ihrer neuen Heimat viel empfindlicher waren als das, was sie kannten. Ihnen erschien es nur natürlich, das Hochland in Besitz zu nehmen und dort viele Schafe weiden zu lassen, wie sie es auch in den schottischen Highlands getan hatten. Woher sollten sie wissen, dass die Hochebenen in Island den Schafen nicht unbegrenzt eine Lebensgrundlage bieten konnten und dass selbst die Niederungen mit Tieren übervölkert waren? Oder kurz gesagt: Dass Island in ganz Europa zum Land mit den schwersten ökologischen Schäden wurde, lag nicht daran, dass vorsichtige norwegische und britische Einwanderer ihre Vorsicht bei der Landung auf der Insel plötzlich über Bord geworfen hätten, sondern sie befanden sich in einer scheinbar üppigen, in Wirklichkeit aber empfindlichen Umwelt, auf die sie aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen nicht vorbereitet waren.
Als die Siedler schließlich erkannten, wie die Verhältnisse wirklich waren, griffen sie korrigierend ein. Sie warfen keine großen Holzstücke mehr weg, gaben die ökologisch schädliche Haltung von Schweinen und Ziegen auf und zogen sich zum größten Teil aus dem Hochland zurück. Gruppen benachbarter Bauernhöfe trafen gemeinsam wichtige Entscheidungen, mit denen sie die Erosion verhindern wollten; dabei ging es beispielsweise um den Zeitpunkt im späten Frühjahr, zu dem das Gras so weit nachgewachsen war, dass man die in Gemeineigentum befindlichen Schafe für den Sommer auf die hoch gelegenen Weiden treiben konnte, und um die Frage, wann man sie im Herbst wieder herunterholte. Die Bauern bemühten sich um Einigkeit darüber, wie viele Schafe jede gemeindeeigene Weide höchstens ernähren konnte, und wie diese Zahl in Form von Quoten auf die einzelnen Bauern aufzuteilen war.
Diese Art der Entscheidungsfindung ist flexibel und sinnvoll, sie ist aber auch konservativ. Selbst meine isländischen Freunde bezeichnen ihre eigene Gesellschaft als konservativ und streng. Die dänische Regierung, der Island seit 1397 unterstand, war regelmäßig entsetzt über diese Haltung, wenn sie echte Anstrengungen unternahmen, um die Bedingungen für die Inselbewohner zu verbessern. Die Verbesserungen, um die man sich von Dänemark aus bemühte, bilden eine lange Liste: Getreideanbau, verbesserte Fischernetze, Fischerei von geschlossenen Schiffen anstelle der offenen Boote, Fischverarbeitung mit Salz für den Export anstelle der einfachen Trocknung, eine Industrie der Seilherstellung und Fellgerberei sowie der Schwefelabbau für den Export. Auf diese und andere Vorschläge, die mit Veränderungen verbunden gewesen wären, erhielten die Dänen (und auch reformfreudige Isländer) regelmäßig eine ablehnende Antwort, ganz gleich, welchen potenziellen Nutzen sie für die Bewohner gehabt hätten.
Wie mir ein Bekannter aus Island erklärte, ist eine solche konservative Einstellung verständlich, wenn man sich die ökologische Empfindlichkeit Islands vor Augen führt. Aufgrund ihrer langen historischen
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