Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
betrachten zu können: Im Gegensatz zu ihnen wusste ich, an welchen Stellen die Wikinger es mit der Landwirtschaft versucht und sie dann wegen schlechter Bedingungen wieder aufgegeben hatten. Für die Wikinger selbst muss es Jahre oder sogar Generationen gedauert haben, bis sie täuschend gut aussehende Stellen, die sich später als ungeeignet erweisen sollten, von vornherein aussortieren konnten. Der Stadtbewohner Jared Diamond stellt für einen Ort, der gute Voraussetzungen für einen mittelalterlichen normannischen Bauernhof bietet, folgende Kriterien auf:
    1. Es sollte sich um eine große, ebene oder leicht ansteigende Fläche in den Niederungen (zwischen Meereshöhe und einer Höhe von 200 Metern) handeln, aus der man ein produktives Innenfeld machen kann. In den Niederungen ist das Klima am mildesten, die schneefreie Wachstumssaison ist am längsten, und das Gras wächst besser als an steilen Abhängen. Unter allen normannischen Anwesen in Grönland besaß das der Kathedrale von Gardar die größten niedrig gelegenen Ebenen; an zweiter Stelle folgten einige Höfe von Vatnahverfi.
    2. Eine wichtige Ergänzung zu solchen großen, niedrig gelegenen Innenfeldern sind große Außenfelder in mittlerer Höhe (bis zu 450 Meter über dem Meeresspiegel), die zusätzliches Heu produzieren. Berechnungen zufolge hätten die Wikingerhöfe in den Niederungen allein nicht genügend Heu produzieren können, um Tiere in der Zahl zu versorgen, die man anhand der Anzahl der Ställe oder der Vermessung ihrer Ruinen abschätzen kann. Besonders große nutzbare Flächen im Hochland besaß der Hof Eriks des Roten bei Brattahlid.
    3. Auf der nördlichen Erdhalbkugel fällt auf Böschungen, die nach Süden weisen, das meiste Sonnenlicht. Das ist wichtig, denn dann schmilzt der Schnee im Frühjahr schneller, die Wachstumssaison für die Heuproduktion umfasst mehr Monate, und die tägliche Sonnenscheindauer ist länger. Alle guten Wikingerhöfe auf Grönland - Gardar, Brattahlid, Hvalsey und Sandnes - besaßen solche Südhänge.
    4. Eine ausreichende Versorgung mit Wasserläufen ist wichtig, damit die Weideflächen entweder durch natürliche Fließgewässer oder Bewässerungssysteme bewässert werden und mehr Heu produzieren.
    5. Den Hof in der Nähe eines Gletschertales oder gegenüber davon anzulegen, ist ein sicheres Rezept für Armut. Aus einem solchen Tal kommt starker Wind, der das Graswachstum vermindert und die Bodenerosion auf Weideflächen verstärkt. Der Fluch der Gletscherwinde verdammte die Höfe in Narssaq und am Sermilikfjord zur Armut und zwang die Bewohner schließlich dazu, die Höfe am oberen Ende des Qoroq-Thales sowie in den Höhenlagen der Gegend von Vatnahverfi aufzugeben.
    6. Wenn möglich, sollte man den Hof unmittelbar an einem Fjord mit einem guten Hafen errichten, damit man Waren mit dem Boot an- und abtransportieren kann.
    Milchprodukte allein reichten nicht aus, um die 5000 normannischen Bewohner Grönlands zu ernähren. Auch mit Ackerbau war die Lücke nicht zu füllen, denn Getreide wurde in Grönland mit seinem kalten Klima und der kurzen Wachstumssaison kaum angebaut. In zeitgenössischen norwegischen Berichten ist davon die Rede, die grönländischen Wikinger hätten während ihres ganzen Lebens nie Weizen, ein Stück Brot oder Bier (das aus Gerste hergestellt wird) gesehen. Heute, wo das Klima in Grönland dem zur Zeit der ersten Wikinger ähnelt, sah ich bei Gardar, dem Ort des damals besten landwirtschaftlichen Anwesens, zwei kleine Felder. Darauf bauten die heutigen Bewohner einige kälteresistente Nutzpflanzen an: Kohl, Rüben, Rhabarber und Kopfsalat, die auch im mittelalterlichen Norwegen gediehen, sowie Kartoffeln, die in Europa erst nach dem Untergang der grönländischen Wikingerkolonie heimisch wurden. Vermutlich konnten auch die Wikinger die gleichen Pflanzen (mit Ausnahme der Kartoffeln) auf einigen Feldern anbauen, außerdem vielleicht auch in besonders milden Jahren ein wenig Gerste. In Gardar und auf zwei anderen Höfen der Östlichen Siedlung sah ich kleine Felder an Stellen, die den Wikingern möglicherweise zu dem gleichen Zweck gedient hatten: Sie lagen unterhalb von Klippen, welche die Sonnenwärme festhalten konnten, und Mauern hielten sowohl Schafe als auch den Wind fern. Der einzige direkte Beleg, dass die Normannen in Grönland auch Ackerbau betrieben, sind jedoch einige Pollenkörner und Samen des Flachses, einer mittelalterlichen europäischen Nutzpflanze, die in Grönland nicht

Weitere Kostenlose Bücher