Kollaps
für die Wikinger in Island und Norwegen zutreffen, wo man aber stets eine Fülle von Fischknochen findet. Außerdem erklären sie auch nicht, warum die Ausgrabungsstätten der grönländischen Wikinger fast keine Angelhaken, Angelleinengewichte oder Netzgewichte enthalten, die in den Wikinger-Ausgrabungsstätten anderer Länder häufig vorkommen.
Ich neige stattdessen dazu, die Tatsachen für bare Münze zu nehmen: Obwohl die grönländischen Wikinger von einer Gesellschaft der Fischesser abstammten, dürfte sich bei ihnen vermutlich ein Tabu gegen den Verzehr von Fisch entwickelt haben. lede Gesellschaft hat ihre eigenen, willkürlich gewählten Nahrungstabus - sie sind eines der vielen Mittel, um sich von anderen Gesellschaften zu unterscheiden: Wir tugendhaft - sauberen Menschen verabscheuen jene ekelhaften Dinge, die irgendwelche anderen seltsamen Gestalten offensichtlich schätzen. Der bei weitem höchste Anteil dieser Tabus betrifft Fleisch und Fisch. Die Franzosen essen beispielsweise Schnecken, Frösche und Pferde, in Neuguinea schätzt man Ratten, Spinnen und Käferlarven, in Mexiko werden Ziegen verzehrt, und in Polynesien bevorzugt man Ringelwürmer aus dem Meer; alle diese Tiere sind nährstoffreich und (wenn man es schafft, sie zu probieren) köstlich, aber die meisten Amerikaner würden schon vor dem Gedanken, so etwas zu essen, zurückschrecken.
Dass Fleisch und Fisch so häufig besonderen Tabus unterliegen, dürfte letztlich darin begründet sein, dass sich in ihnen viel schneller als in pflanzlichen Lebensmitteln Bakterien oder andere Einzeller vermehren, die uns eine Lebensmittelvergiftung oder Parasitenerkrankung einbringen, wenn wir sie zu uns nehmen. Besonders groß ist diese Gefahr in Island und Skandinavien, wo man stinkenden (Nichtskandinavier würden sagen: verfaulten) Fisch mit verschiedenen Gärungsverfahren langfristig haltbar macht:
Bei manchen dieser Methoden verwendet man Bakterien, die auch den tödlichen Botulismus verursachen können. Die unangenehmste Krankheit meines Lebens - schlimmer noch als die Malaria - zog ich mir durch eine Lebensmittelvergiftung zu: Ich hatte Krabben gegessen, die ich im englischen Cambridge auf einem Markt gekauft hatte und die offensichtlich nicht frisch waren. Danach war ich mehrere Tage mit Erbrechen, Durchfall, heftigen Gliederschmerzen und Kopfschmerzen ans Bett gefesselt. Diese Erfahrung legt für mich ein Szenario aus Normannisch-Grönland nahe: Vielleicht litt Erik der Rote in den ersten Jahren der Besiedlung Grönlands nach einer Fischmahlzeit an einer ähnlich entsetzlichen Lebensmittelvergiftung. Nachdem er wieder genesen war, erzählte er allen, die es hören wollten oder auch nicht, wie schädlich Fische sind und warum das saubere, stolze Volk der Grönländer sich niemals zu den ungesunden Gewohnheiten der entsetzlich schmierigen, Fische essenden Isländer und Norweger herablassen solle.
Da die Viehhaltung in Grönland so schwierig war, mussten die Wikinger dort zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse eine vielschichtige, integrierte Wirtschaft entwickeln. Diese Integration hatte räumliche und zeitliche Aspekte: Die einzelnen Tätigkeiten wurden auf verschiedene Jahreszeiten verteilt, und die Bauernhöfe spezialisierten sich auf die Produktion unterschiedlicher Waren, die sie mit den anderen Höfen austauschten.
Die Betrachtung der jahreszeitlichen Reihenfolge möchte ich mit dem Frühjahr beginnen. Ende Mai und Anfang Juni, wenn die Sattelrobben und Klappenmützen in großen Herden an den Fjordmündungen vorüberzogen, kam die kurze, aber lebenswichtige Phase der Robbenjagd; gleichzeitig kamen auch die ortsfesten Gemeinen Seehunde an die Strände und brachten ihre Jungen zur Welt, wobei sie einfach zu fangen waren. Besonders arbeitsreich waren die Sommermonate von Juni bis August: Jetzt brachte man das Vieh zum Weiden ins Freie, die Tiere lieferten Milch, die man zu lagerfähigen Milchprodukten verarbeitete, einige Männer machten sich in Schiffen nach Labrador auf, um Holz zu fällen, andere Schiffe gingen in nördlicher Richtung auf Walrossjagd, und aus Island oder Europa trafen Frachtschiffe mit Handelsgütern ein. Im August und Anfang September folgten die hektischen Wochen, in denen man Gras schneiden, trocknen und als Heu einlagern musste; im September führte man die Kühe wieder von den Weiden in die Ställe, Schafe und Ziegen wurden näher zu den Unterkünften gebracht. September und Oktober waren die Karibu-Jagdsaison, und in
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