Kollaps
ihnen auch Einar Sokkason) sich am Ende gegenseitig umbrachten, während Arnald sein Leben und seine Autorität behielt.
Es gibt aber auch handgreiflichere Belege für die Gewalttätigkeit in Grönland. Der Friedhof bei der Kirche von Brattahlid umfasst nicht nur viele Einzelgräber mit säuberlich angeordneten, vollständigen Skeletten, sondern auch ein Massengrab aus der Anfangsphase der grönländischen Siedlung, das die auseinander gerissenen Knochen von 13 erwachsenen Männern und einem neunjährigen Kind enthält. Vermutlich handelt es sich dabei um eine Großfamilie, die in einer Fehde den Kürzeren zog. An fünf der Skelette erkennt man Schädelverletzungen, die von scharfen Gegenständen stammen, vermutlich von Äxten oder Schwertern. In zwei Fällen erkennt man Spuren der Knochenheilung, was darauf schließen lässt, dass die Opfer den Schlag überlebten und erst später starben; an den drei anderen sind jedoch nur geringe oder keine Heilungsspuren zu erkennen, das heißt, die Betreffenden starben wahrscheinlich sehr schnell. Dieses Ergebnis ist nicht verwunderlich, wenn man sich die Fotos der Schädel ansieht: Aus einem davon wurde ein Knochenstück von fünfmal acht Zentimetern herausgetrennt. Die Verletzungen befinden sich stets entweder links vorn oder rechts hinten am Schädel, wie man es erwartet, wenn ein rechtshändiger Angreifer von vorn oder hinten zuschlägt. (Das Gleiche beobachtet man bei den meisten Verwundungen aus Schwertkämpfen, denn die Menschen sind in ihrer Mehrzahl Rechtshänder.)
Bei einem anderen männlichen Skelett auf dem gleichen Friedhof steckt eine Messerschneide zwischen den Rippen. Zwei weibliche Skelette aus dem Friedhof von Sandness mit ähnlichen Schädelverletzungen sind der Beweis, dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen bei solchen Konflikten ums Leben kamen. Aus späteren Jahren der grönländischen Kolonie, als Äxte und Schwerter wegen der Eisenknappheit bereits äußerst selten waren, kennt man Schädel von vier erwachsenen Frauen und einem achtjährigen Kind, die jeweils ein oder zwei scharfkantige Löcher mit einem Durchmesser von eineinhalb bis zweieinhalb Zentimetern tragen; diese Verletzungen stammen offensichtlich von Armbrustbolzen oder Pfeilen. Auf häusliche Gewalt lässt das Skelett einer fünfzigjährigen Frau in der Kathedrale von Gardar schließen, bei dem das Zungenbein zerbrochen ist; Gerichtsmediziner deuten ein gebrochenes Zungenbein heute als Beleg, dass das Opfer mit bloßen Händen erdrosselt wurde.
Neben diesem Hang zur Gewalt, der neben der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit existierte, brachten die Wikinger aus Island und Norwegen auch eine streng in Schichten gegliederte, hierarchische Gesellschaftsstruktur mit nach Grönland: Wenige Häuptlinge herrschten über die Besitzer der kleineren Bauernhöfe, die Landarbeiter ohne eigenen Grundbesitz und (anfangs) die Sklaven. Außerdem war Grönland wie Island politisch nicht als Staat organisiert, sondern als ein lockeres Bündnis aus Fürstentümern mit Feudalherrschaft. Geld gab es ebenso wenig wie eine Marktwirtschaft. In den ersten ein oder zwei Jahrhunderten nach der Besiedlung verschwand die Sklaverei, und die Sklaven wurden zu freien Menschen. Die Zahl selbständiger Bauern nahm aber vermutlich im Lauf der Zeit ab, weil sie gezwungen wurden, zu Lehensnehmern der Häuptlinge zu werden, eine Entwicklung, die auch in Island gut belegt ist. Entsprechende Aufzeichnungen aus Grönland besitzen wir nicht, aber dort dürfte sich eine ähnliche Entwicklung abgespielt haben, denn die Kräfte, die sie vorantrieben, waren in Grönland sogar noch stärker ausgeprägt als in Island. Bei diesen Kräften handelte es sich um Klimaschwankungen, die arme Bauern in schlechten Jahren zu Schuldnern der reicheren Bauern machten, weil diese ihnen Heu und Tiere liehen und später ihre Forderungen geltend machen konnten. Anhaltspunkte für eine solche Hierarchie der Bauernhöfe ist noch heute an den Ruinen in Grönland zu erkennen: Im Vergleich zu ärmeren Anwesen hatten größere Höfe gute Weideflächen, größere Ställe für Kühe und Schafe mit Verschlägen für mehr Tiere, größere Häuser, größere Kirchen und eine Schmiede. Außerdem erkennt man die Hierarchie heute an dem größeren Anteil der Rinder- und Karibuknochen im Verhältnis zu den Knochen von Schafen und Robben in den Abfallhaufen der reicheren Höfe.
Die Parallelen zu Island reichen noch weiter: Auch das Grönland der Wikinger war eine
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