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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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hielt. Er hatte nur zu Recht darauf hingewiesen, dass Umweltprobleme häufig Konflikte zwischen Menschen nach sich ziehen, dass solche Konflikte in den Vereinigten Staaten häufig vor Gericht ausgetragen werden, dass die Gerichte ein völlig akzeptables Mittel zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten sind, und dass Studenten, die sich im Rahmen ihrer Berufsausbildung auf die Lösung von Umweltproblemen vorbereiten, sich auch mit dem juristischen System vertraut machen sollten. Auch hier ist der Fall Ruanda lehrreich: Was die Häufigkeit der Problemlösung durch Konflikte anging, hatte mein Student grundsätzlich Recht, aber der Konflikt findet nicht immer im Gerichtssaal statt, sondern er kann auch sehr viel hässlichere Formen annehmen.
    In den letzten Jahren sind die Namen der beiden Nachbarstaaten Ruanda und Burundi in unserer Vorstellung zu Synonymen für dichte Bevölkerung und Völkermord geworden. Sie sind die am dichtesten besiedelten Staaten Afrikas und stehen mit ihrer Bevölkerungsdichte auch weltweit in der Spitzengruppe: Sie ist in Ruanda dreimal so hoch wie in Nigeria, dem afrikanischen Land mit der dritthöchsten Bevölkerungsdichte, und zehnmal so hoch wie im benachbarten Tansania. Der Völkermord in Ruanda forderte die dritthöchste Zahl von Opfern bei derartigen Ereignissen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts - in den Schatten gestellt wird er nur noch durch die Massenmorde in Kambodscha in den siebziger Jahren und 1971 in Bangladesch (dem damaligen Ostpakistan). Da Ruanda insgesamt nur etwa ein Zehntel der Einwohnerzahl von Bangladesch hat, geht das Ausmaß des dortigen Völkermordes, gemessen am Anteil der Toten an der Gesamtbevölkerung, weit über den in Bangladesh hinaus und wird nur noch von dem in Kambodscha übertroffen. In Burundi war der Völkermord mit »nur« wenigen hunderttausend Opfern weniger umfangreich als in Ruanda. Doch selbst damit steht dieses Land, was die Zahl der Toten angeht, seit 1950 weltweit an siebter Stelle, und im Verhältnis der Toten zur Einwohnerzahl belegt es Rang vier.
    In der Regel bringen wir den Völkermord in Ruanda und Burundi mit ethnisch motivierter Gewalt in Verbindung. Bevor wir verstehen können, welche Ursachen dabei außerdem noch eine Rolle spielten, müssen wir uns ein wenig genauer ansehen, wie der Massenmord ablief, welche historische Entwicklung ihn in Gang setzte und wie beides gewöhnlich interpretiert wird. (Später werde ich erläutern, warum diese Interpretation in manchen Aspekten falsch, unvollständig oder zu stark vereinfacht ist.) Die Bevölkerung beider Staaten besteht aus zwei großen Gruppen: Den Hutu, die ursprünglich 85 Prozent der Einwohner stellten, und den Tutsi mit etwa 15 Prozent. Die beiden Gruppen hatten traditionell in erheblichem Maße unterschiedliche wirtschaftliche Funktionen erfüllt: Die Hutu waren vorwiegend Bauern, die Tutsi züchteten Vieh. Oft wird behauptet, die Angehörigen beider Gruppen sähen unterschiedlich aus: Hutu sind im Durchschnitt kleiner stämmiger, dunkelhäutiger, mit flacher Nase, kräftigen Lippen und eckigem Unterkiefer, Tutsi sind größer, schlanker, hellhäutiger, mit dünnen Lippen und schmalem Kinn. Allgemein geht man davon aus, dass Ruanda und Burundi von Süden und Westen her durch Hutu besiedelt wurden, während die Tutsi als nilotisches Volk später von Norden und Osten hinzukamen und sich zu Herrschern über die Hutu aufschwangen. Als die deutsche (1897) und später die belgische (1916) Kolonialregierung die Macht übernahm, hielten sie es für klug, die Regierungsgewalt durch Tutsi-Mittelmänner ausüben zu lassen, die wegen ihrer helleren Haut und ihres angeblich stärker europäischen oder »hamitischen« Aussehens gegenüber den Hutu als rassisch überlegen galten. In den dreißiger Jahren erließen die Belgier eine Vorschrift, wonach jeder einen Personalausweis besitzen musste, der ihn als Hutu oder Tutsi kennzeichnete; auf diese Weise vertieften sich die ohnehin bereits vorhandenen ethnischen Abgrenzungen.
    Beide Länder wurden 1962 unabhängig. Als die Unabhängigkeit näher rückte, kämpften die Hutu in beiden Ländern darum, die Vorherrschaft der Tutsi zu brechen und durch eigene Dominanz zu ersetzen. Kleine gewalttätige Zwischenfälle eskalierten in einer Spirale der Vergeltungsangriffe zwischen Tutsi und Hutu. In Burundi gelang es den Tutsi schließlich, ihre Vormachtstellung zu verteidigen, aber zuvor, nach Hutu-Aufständen in den Jahren 1965 und 1970 bis

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