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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Gesamtheit sorgen diese Kinder in Ostafrika für eine der höchsten Bevölkerungswachstumsraten der Welt: In Kenia liegt sie derzeit bei 4,1 Prozent, das heißt, die Bevölkerung verdoppelt sich alle 17 Jahre. Diese Bevölkerungsexplosion findet statt, obwohl Afrika länger von Menschen bewohnt ist als jeder andere Kontinent, sodass man naiverweise annehmen könnte, Afrikas Bevölkerung habe sich schon vor langer Zeit auf einer bestimmten Höhe eingependelt. Dass sie in Wirklichkeit in jüngster Zeit explodiert, hat viele Gründe: die Einführung von Nutzpflanzen aus der Neuen Welt (insbesondere Mais, Bohnen, Süßkartoffeln und Maniok), die Verbreiterung der landwirtschaftlichen Basis und eine Steigerung der Lebensmittelproduktion, wie sie allein mit afrikanischen Pflanzenarten nicht möglich gewesen wäre, verbesserte Hygiene, Krankheitsvorbeugung, Impfung von Müttern und Kindern, Antibiotika, eine gewisse Eindämmung der Malaria und anderer typisch afrikanischer Krankheiten, die Bildung von Staaten und die Festlegung von Staatsgrenzen mit der Folge, dass manche neue, zuvor umkämpfte Niemandsland-Gebiete der Besiedelung zugänglich wurden.
    Bevölkerungsprobleme, wie sie heute in Ostafrika bestehen, werden häufig als »malthusianisch« bezeichnet: Der britische Wirtschaftswissenschaftler und Bevölkerungskundler Thomas Malthus vertrat 1798 in einem berühmten Buch die Ansicht, das Bevölkerungswachstum werde irgendwann zu einer Überforderung der Lebensmittelproduktion führen. Dies, so Malthus’ Überlegung, sei unausweichlich, weil die Bevölkerung exponentiell wächst, die Lebensmittelproduktion dagegen linear. Liegt die Verdoppelungszeit einer Bevölkerung beispielsweise bei 35 Jahren, hat sich eine Gruppe, die im Jahr 2000 aus 100 Menschen besteht, bis 2035 auf 200 Menschen verdoppelt; diese verdoppeln sich bis 2070 auf400 Menschen, nach den nächsten 35 Jahren sind es 2105 bereits 800 Menschen, und so weiter. Die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion dagegen ist keine Multiplikation, sondern eine Addition: Irgendein Fortschritt lässt den Weizenertrag um 25 Prozent steigen, der nächste Fortschritt führt zu einer Steigerung um 20 Prozent, und so weiter. Zwischen dem Wachstum von Bevölkerung und Nahrungsmittelproduktion besteht also ein grundlegender Unterschied. Wenn die Bevölkerung wächst, pflanzen sich die neu hinzugekommenen Menschen ihrerseits ebenfalls fort wie beim Zinseszins, den Zinsen, welche die Zinsen ihrerseits wiederum einbringen.
    Dies führt zu exponentiellem Wachstum. Deshalb wird eine Bevölkerung immer so lange wachsen, bis sie alle verfügbaren Nahrungsmittel verbraucht; Lebensmittelüberschüsse wird es nie geben, es sei denn, das Bevölkerungswachstum kommt durch Hungersnot, Krieg oder Krankheiten zum Stillstand, oder die Menschen treffen selbst vorbeugende Entscheidungen, beispielsweise indem sie Empfängnisverhütung betreiben oder Eheschließungen hinausschieben. Die auch heute noch weit verbreitete Vorstellung, wir könnten die Menschen allein durch eine Steigerung der Nahrungsproduktion glücklich machen, ohne gleichzeitig das Bevölkerungswachstum zu unterbinden, muss am Ende zur Enttäuschung führen - das jedenfalls meinte Malthus.
    Ob sein pessimistischer Gedankengang richtig ist, war und ist heftig umstritten. In unserer Zeit haben manche Länder ihr Bevölkerungswachstum durch freiwillige Maßnahmen oder durch staatlich verordnete Geburtenkontrolle stark eingeschränkt. Im Fall Ruanda jedoch wurde offensichtlich Malthus’ schlimmstes Szenario Wirklichkeit. Allgemein betrachtet, sind sich Malthus-Anhänger und Malthus-Gegner in einem Punkt einig: Bevölkerungs- und Umweltprobleme, die durch nicht nachhaltige Ressourcennutzung entstehen, werden irgendwann auf die eine oder andere Weise gelöst - entweder durch angenehme, selbst gewählte Mittel, oder aber auf den unangenehmen, erzwungenen Wegen, die Malthus sich ursprünglich ausmalte.
    Vor einiger Zeit sprach ich an der University of California in Los Angeles im Rahmen einer Vorlesungsreihe für Studienanfänger, in der ich die ökologischen Probleme von Gesellschaften behandelte, auch über die Schwierigkeiten aller Gesellschaften, in ökologischen Fragen Einigkeit zu erzielen. Daraufhin erklärte einer meiner Studenten, solche Meinungsverschiedenheiten könnten durch Konflikte gelöst werden, und häufig geschehe das auch. Damit meinte er nicht, dass er Mord für ein geeignetes Mittel zur Beilegung von Diskussionen

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