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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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durchschnittliche Niederschlagsmenge ist das Problem, dass die Niederschläge unberechenbar sind. In vielen Landwirtschaftsregionen der Welt weiß man von Jahr zu Jahr genau, wann es regnen wird: In Südkalifornien beispielsweise, wo ich zu Hause bin, kann man so gut wie sicher sein, dass der Niederschlag sich auf den Winter konzentriert, während es im Sommer wenig oder gar nicht regnet. In vielen solchen Gebieten mit einer produktiven Landwirtschaft ist nicht nur die jahreszeitliche Regenmenge zuverlässig von Jahr zu Jahr die Gleiche, sondern man kann auch sicher sein, dass sie überhaupt kommt: Größere Dürreperioden sind selten, und ein Bauer kann ohne weiteres jedes Jahr Mühe und Kosten auf sich nehmen, um zu pflügen und zu säen; zu Recht erwartet er, dass die Niederschlagsmenge ausreicht und die Pflanzen heranreifen.
    In großen Teilen Australiens jedoch hängt die Niederschlagsmenge von der so genannten ENSO (El Nino Southern Oscillation) ab, das heißt, sie ist innerhalb eines Jahrzehnts von Jahr zu Jahr unberechenbar und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt noch schwieriger vorherzusehen. Als die ersten europäischen Bauern und Viehzüchter sich in Australien niederließen, hatten sie keine Ahnung von dem ENSO-abhängigen Klima ihrer neuen Heimat: Das Phänomen ist in Europa kaum nachzuweisen, und selbst professionelle Klimaforscher haben es erst in den letzten Jahrzehnten erkannt. In vielen Regionen Australiens hatten die ersten Bauern und Viehzüchter das Pech, dass sie während einer Reihe feuchter Jahre kamen. Deshalb schätzten sie das Klima des Kontinents falsch ein, und nun züchteten sie Getreide oder Schafe in der Erwartung, die günstigen Bedingungen, die sie gesehen hatten, seien der Normalfall. In Wirklichkeit reicht der Niederschlag in den meisten australischen Landwirtschaftsregionen nur in einem Bruchteil aller Jahre aus, damit das Getreide heranreifen kann. An den meisten Orten ist das höchstens die Hälfte aller Jahre, in manchen Gebieten sind es sogar nur zwei von zehn. Auch dies trägt dazu bei, dass Landwirtschaft in Australien teuer und unwirtschaftlich ist: Der Bauer pflügt und sät mit großem Aufwand, und dann kann er in mindestens der Hälfte der Jahre keine Ernte einfahren. Außerdem hat dies die unglückliche Folge, dass nackter Boden freigelegt wird, weil der Bauer alle Pflanzen, die seit der letzten Ernte von selbst nachgewachsen sind, unterpflügt. Wenn die Nutzpflanzen, die er dann aussät, nicht reif werden, bleibt der Boden ohne Bewuchs - er ist nicht einmal mehr von Unkraut bedeckt und bietet der Erosion eine große Angriffsfläche. Wegen der unberechenbaren Niederschläge ist der Anbau von Nutzpflanzen also auf kurze Sicht teurer, und auf lange Sicht wird die Erosion begünstigt.
    Die wichtigste Ausnahme von dem Prinzip der ENSO-abhängigen, unberechenbaren Niederschläge ist der Weizengürtel im Südwesten. Dort stellten sich im Winter (jedenfalls bis vor kurzem) zuverlässig jedes Jahr die Regenfälle ein, sodass die Bauern eigentlich immer mit einer erfolgreichen Weizenernte rechnen konnten. Diese Zuverlässigkeit hatte zur Folge, dass der Weizen in den letzten Jahren sowohl die Wolle als auch das Fleisch von den Spitzenplätzen der landwirtschaftlichen Exportprodukte Australiens verdrängt hat. Wie bereits erwähnt, ist der Weizengürtel aber auch das Gebiet mit besonders geringer Bodenfruchtbarkeit und hohem Salzgehalt. Und in den letzten Jahren beeinträchtigt der globale Klimawandel sogar den Vorteil der berechenbaren winterlichen Niederschläge: Sie sind im Weizengürtel seit 1973 drastisch zurückgegangen, und die immer häufigeren sommerlichen Regenfälle gehen auf dem abgeernteten nackten Boden nieder, wo sie die Versalzung verstärken. Wie ich es bereits im Zusammenhang mit Montana in Kapitel 1 erwähnt habe, schafft der globale Klimawandel Gewinner und Verlierer; Australien wird dabei noch stärker auf der Verliererseite stehen als Montana.
    Australien liegt zum größten Teil in gemäßigten Breiten, aber von anderen Ländern mit gemäßigtem Klima, die als Exportmärkte für australische Produkte infrage kommen, ist es viele tausend Kilometer entfernt. Deshalb bezeichnen australische Historiker die »Tyrannei der Entfernung« als wichtigen Faktor für die Entwicklung ihres Landes. Der Ausdruck spielt auf die langen Seereisen an, die australische Produkte je Kilo oder Volumeneinheit teurer machen als Exporte aus der Neuen Welt nach Europa, sodass praktisch nur

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