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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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also nicht auf Stützpunkte beschränkte, in denen nur wenige Europäer sich niederließen und Handel mit der örtlichen Bevölkerung betrieben -, richtete sich meist danach, ob man das Land für geeignet hielt, um eine wirtschaftlich erfolgreiche oder zumindest autarke Gesellschaft zu gründen. Die einzige Ausnahme von diesem Prinzip war Australien: Hier wanderten Menschen über viele Jahrzehnte hinweg nicht ein, um ihr Glück zu versuchen, sondern weil sie dazu gezwungen wurden.
    Großbritanniens wichtigstes Motiv für die Besiedelung Australiens bestand darin, dass man eine problematisch große Zahl armer Gefängnisinsassen loswerden wollte, um so einem Aufstand zuvorzukommen, der sonst möglicherweise ausgebrochen wäre. Im 18. Jahrhundert sahen britische Gesetze für den Diebstahl von 40 Schilling oder mehr die Todesstrafe vor, und deshalb befanden Richter vielfach einen Dieb für schuldig, 39 Schilling gestohlen zu haben, um so die Hinrichtung zu vermeiden. Dies führte dazu, dass Gefängnisse und fest vertäute Schiffe sich mit Personen füllten, die wegen kleiner Vergehen wie Diebstahl oder Überschuldung verurteilt waren. Bis 1783 konnte man die Überfüllung der Gefängnisse abmildern, indem man Verurteilte als Lohnknechte nach Nordamerika schickte, wo sich auch freiwillige Auswanderer niederließen, weil sie sich eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation oder religiöse Freiheit versprachen.
    Nach der amerikanischen Revolution jedoch war dieses Ventil versperrt, und in Großbritannien war man gezwungen, Verbrecher aufandere Weise loszuwerden. Anfangs hatte man zwei Orte im Auge: Der eine lag 700 Kilometer stromaufwärts an dem Fluss Gambia im tropischen Westafrika, der andere in der Wüste an der Mündung des Orange River an der Grenze zwischen den heutigen Staaten Südafrika und Namibia. Bei nüchterner Betrachtung wurde deutlich, dass beide Ideen nicht umzusetzen waren, und nun griff man auf die australische Botany Bay zurück, das Gebiet des heutigen Sydney, dass man damals nur durch einen Besuch des Kapitäns Cook im Jahr 1770 kannte. Dorthin brachte die First Fleet 1788 die ersten europäischen Siedler: Verurteilte und die Soldaten zu ihrer Bewachung. Die Schiffstransporte mit Häftlingen setzten sich bis 1868 fort, und bis in die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts stellten Verurteilte den größten Teil der europäischen Siedler in Australien.
    Im weiteren Verlauf wählte man neben Sydney weitere Stellen an der australischen Küste, wo man Verurteilte an Land brachte. Diese Siedlungen in der Nähe der heutigen Städte Melbourne, Brisbane, Perth und Hobart wurden zu den Zentren von fünf Kolonien, die von Großbritannien getrennt verwaltet wurden und sich später zu fünf der sechs Bundesstaaten des modernen Australien entwickelten: New South Wales, Victoria, Queensland, Westaustralien und Tasmanien. Diese fünf Siedlungen wählte man nicht wegen ihrer Eignung für die Landwirtschaft, sondern wegen ihrer vorteilhaften Lage an natürlichen Häfen oder Flüssen. Letztlich stellte sich heraus, dass sie sich alle nicht für die Landwirtschaft eigneten und sich mit ihrer Lebensmittelproduktion nicht selbst versorgen konnten. Großbritannien musste ständig Nahrung in die Kolonien schicken, um die Verurteilten sowie ihre Wachen und Gouverneure zu ernähren. Anders war es jedoch in dem Gebiet rund um Adelaide, das zum Zentrum Südaustraliens wurde, des sechsten modernen Bundesstaates. Dort lockte der fruchtbare, durch geologische Hebung entstandene Boden und ein recht zuverlässiger winterlicher Niederschlag deutsche Bauern an, anfangs die einzige Auswanderergruppe, die nicht aus Großbritannien stammte. Auch westlich des heutigen Melbourne gab es fruchtbare Böden, sodass sich dort ebenfalls eine erfolgreiche landwirtschaftliche Siedlung bildete, nachdem ein Häftlingslager, das man 1803 auf schlechten Böden östlich der Stadt gegründet hatte, sich nicht halten konnte.
    Den ersten wirtschaftlichen Nutzen brachte die britische Besiedelung Australiens durch den Robben- und Walfang. Als man dann 1813 endlich etwa 100 Kilometer westlich von Sydney einen Übergang über die Blue Mountains entdeckte, und auf diese Weise Zugang zu dem dahinter liegenden Weideland erhielt, kamen als zweiter Gewinnbringer die Schafe hinzu. Aber Australien war immer noch nicht autark, und die britischen Lebensmittellieferungen setzten sich bis in die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts fort; erst 1851 brachte der erste

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