Kollaps
die anfänglichen Voraussagen übertrieben gewesen wären.
»Die Bevölkerungskrise löst sich bereits selbst - das Wachstum der Weltbevölkerung nimmt ab, und irgendwann wird die Bevölkerung sich bei weniger als dem Doppelten der jetzigen Zahl einpendeln.« Eine solche Voraussage, dass die Weltbevölkerung sich bei weniger als dem Doppelten der jetzigen Zahl einpendeln wird, kann sich als richtig erweisen oder auch nicht; derzeit erscheint sie als realistische Möglichkeit. Aber aus dieser Möglichkeit können wir keinen Trost schöpfen, und das hat zwei Gründe: Nach vielen Kriterien lebt die Weltbevölkerung schon jetzt auf einem nicht nachhaltigen Niveau, und wie ich zuvor in diesem Kapitel bereits erläutert habe, besteht die Hauptgefahr nicht in der Verdoppelung der Bevölkerung, sondern in dem viel größeren Anstieg ihrer ökologischen Auswirkungen, wenn es der Bevölkerung in der Dritten Welt gelingt, den Lebensstandard der Industrieländer zu erreichen. Mit erstaunlicher Lässigkeit erwähnen manche Bewohner der Industrieländer den Zuwachs von »nur« zweieinhalb Milliarden Menschen (die niedrigste Schätzung, die derzeit im Umlauf ist), als wäre das hinnehmbar, wo es auf der Welt bereits jetzt ebenso viele Menschen gibt, die unterernährt sind und von weniger als drei Dollar pro Tag leben müssen.
»Die Welt verträgt ein unbegrenztes Bevölkerungswachstum. Je mehr Menschen es gibt, desto besser ist es, denn mehr Menschen können mehr Erfindungen machen, und das bedeutet letztlich mehr Wohlstand.« Diese beiden Ideen verbinden sich insbesondere mit dem Namen Julian Simon, sie wurden aber auch von vielen anderen übernommen, insbesondere von Wirtschaftswissenschaftlern. Die Aussage über die Möglichkeit, das derzeitige Bevölkerungswachstum unbegrenzt fortzusetzen, kann man nicht ernst nehmen: Wie ich bereits erläutert habe, würden dann schon im Jahr 2779 ungefähr zehn Menschen auf jedem Quadratmeter leben. Die Daten über den Wohlstand verschiedener Staaten zeigen, dass die Behauptung, mehr Menschen seien gleichbedeutend mit mehr Wohlstand, eben gerade nicht stimmt. Die zehn bevölkerungsreichsten Länder sind (in absteigender Reihenfolge der Bevölkerungszahlen) China, Indien, die Vereinigten Staaten, Indonesien, Brasilien, Pakistan, Russland, Japan, Bangladesch und Nigeria. Die zehn Länder mit dem größten Wohlstand (Pro-Kopf-BIP über 20 000 Dollar) sind in absteigender Reihenfolge die Schweiz, Luxemburg, Finnland, Japan, Schweden, Norwegen, Dänemark, Island, Kanada und Nauru. Das einzige Land, das sich in beiden Listen findet, ist Japan.
In Wirklichkeit sind gerade die bevölkerungsreichen Länder unverhältnismäßig arm: Acht der zehn genannten Staaten haben ein BIP von weniger als 10 000 Dollar pro Kopf, in sechs davon liegt es unter 600 Dollar. Umgekehrt haben die reichen Länder eine unverhältnismäßig kleine Bevölkerung: Sie liegt bei acht der zehn genannten Staaten unter 9 Millionen, bei drei davon sogar unter 500 000. Was die beiden Listen wirklich unterscheidet, ist das Bevölkerungswachstum: Es liegt in allen zehn wohlhabenden Ländern sehr niedrig (unter ein Prozent pro Jahr), während acht der zehn bevölkerungsreichsten Länder ein höheres relatives Bevölkerungswachstum haben als alle genannten wohlhabenden Länder; die beiden Ausnahmen sind zwei große Staaten, die ihr geringes Bevölkerungswachstum auf unangenehme Weise verwirklicht haben: China mit seinen staatlichen Anordnungen und Zwangsabtreibungen, und Russland, dessen Bevölkerung wegen katastrophaler gesundheitlicher Verhältnisse sogar abnimmt. Als empirische Tatsache kann man also festhalten: Mehr Menschen und ein höheres Bevölkerungswachstum bedeuten nicht mehr Reichtum, sondern mehr Armut.
»Ökologische Bedenken sind ein Luxus, den sich nur reiche Yuppies aus den Industrieländern leisten können, aber die haben kein Recht, verzweifelten Bewohnern der Dritten Welt zu sagen, was sie zu tun haben.« Diese Ansicht habe ich vor allem von reichen Yuppies aus Industrieländern gehört, die mit der Dritten Welt keine Erfahrungen hatten. Als ich in Indonesien, Papua-Neuguinea, Ostafrika, Peru und anderen Staaten der Dritten Welt mit wachsenden Umweltproblemen und wachsender Bevölkerung unterwegs war, hat es mich immer wieder beeindruckt, dass die Menschen dort sehr genau darüber Bescheid wissen, wie ihnen Bevölkerungswachstum, Waldzerstörung, Überfischung und andere Probleme schaden. Sie wissen es, weil sie
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