Kollaps
Sibirien, also in Gebieten, die weit von allen Chemiefabriken und Einsatzgebieten solcher Chemikalien entfernt sind. Der Quecksilbergehalt ihres Blutes liegt dennoch in dem Bereich, den man mit akuter Quecksilbervergiftung in Verbindung bringt, und die Konzentration der giftigen PCBs (polychlorierten Biphenyle) in der Muttermilch von Inuitfrauen ist so hoch, dass man die Milch als »Giftmüll« einstufen müsste. Bei den Kindern beobachtet man Hörbehinderungen, Veränderungen in der Gehirnentwicklung, Störungen der Immunfunktion und in der Folge eine große Häufigkeit von Ohren- und Atemwegsinfektionen.
Warum ist die Konzentration solcher Schadstoffe aus den weit entfernten Industrieländern Amerikas und Europas bei den Inuit höher als bei den Bewohnern amerikanischer und europäischer Städte? Es liegt daran, dass Wale, Robben und Seevögel die Grundnahrungsmittel der Inuit sind, und diese Tiere fressen Fische, Muscheln und Krebse. Die Chemikalien durchlaufen die Nahrungskette und reichern sich auf jeder Stufe stärker an. Wenn wir in den Industriel ändern gelegentlich Meeresfrüchte essen, nehmen wir die gleichen Substanzen auf, aber in geringerer Menge. (Das bedeutet aber nicht, dass man sich schützen könnte, wenn man keinen Fisch mehr isst: Ganz gleich, was man verzehrt, man kann es nicht vermeiden, solche Chemikalien aufzunehmen.)
Zu den negativen Auswirkungen der Industrieländer auf die Dritte Welt gehört auch die Waldzerstörung: Die japanischen Importe von Holzprodukten sind derzeit eine der Hauptursachen für die Abholzung der Wälder in tropischen Drittweltländern. Für Überfischung sorgen die Fischerei flotten Japans, Koreas und Taiwans sowie die stark subventionierten Flotten der Europäischen Union, die sich auf den Weltmeeren herumtreiben. Umgekehrt können auch die Menschen aus der Dritten Welt uns heute absichtlich oder unabsichtlich schlechte Dinge schicken: Krankheiten wie AIDS, SARS, Cholera und Westnilfieber kommen mit den Passagieren der Interkontinentalflüge; legale und illegale Einwanderer treffen in riesiger Zahl mit Booten, Lastwagen, Eisenbahnzügen, Flugzeugen und zu Fuß ein; das Gleiche gilt für Terroristen und andere Folgen der Probleme in der Dritten Welt. Die Vereinigten Staaten sind nicht mehr die isolierte »Festung Amerika«, zu der manche sie in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts machen wollten, sondern sie sind eng und unausweichlich mit den Staaten anderer Kontinente verbunden. Die USA sind die weltweit führende Importnation: Wir importieren viele unentbehrliche Rohstoffe (insbesondere Öl und einige seltene Metalle) und Konsumgüter (Autos und Unterhaltungselektronik), wir sind aber auch der weltweit führende Importeur von Investitionskapital. Auch im Export - insbesondere von Lebensmitteln und den Produkten unserer eigenen Industrie - stehen wir weltweit an der Spitze. Unsere Gesellschaft hat sich schon vor langer Zeit dafür entschieden, sich mit der übrigen Welt zu verflechten.
Deshalb sind wir, unsere Handelswege, unsere Märkte und Lieferanten auch immer betroffen, wenn es irgendwo auf der Welt zu politischer Instabilität kommt. Wir sind in hohem Maße abhängig von der übrigen Welt: Hätte man vor 15 Jahren einen Politiker nach den Ländern gefragt, die für unsere geopolitischen Interessen die geringste Bedeutung haben, weil sie abgelegen, arm und schwach sind, hätte die Liste sicher mit Afghanistan und Somalia begonnen; in der Folgezeit wurden diese Länder jedoch so wichtig, dass sogar die Entsendung von US-Truppen gerechtfertigt erschien. Heute steht die Welt nicht mehr nur vor der eng umschriebenen Gefahr einer Osterinsel oder eines MayaKernlandes, das einsam und allein zusammenbricht, ohne dass die übrige Welt betroffen wäre. Heute sind alle Gesellschaften so stark verflochten, dass wir uns mit der Gefahr eines weltweiten Niederganges auseinander setzen müssen. Diese Erkenntnis ist jedem vertraut, der in Aktienmärkte investiert: Die Instabilität der US-Börsen und die Rezession in den USA nach dem 11. September beeinflussen auch die Börsen und die Konjunktur in anderen Ländern, und umgekehrt. Wir in den Vereinigten Staaten (oder auch nur die wohlhabenden Menschen in den Vereinigten Staaten) kommen nicht mehr damit davon, dass wir unsere eigenen Interessen auf Kosten anderer durchsetzen.
Ein gutes Beispiel für eine Gesellschaft, in der sich solche Interessenkonflikte auf ein Minimum beschränken, sind die Niederlande: Dort haben
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