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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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die Bürger vielleicht das weltweit größte Umweltbewusstsein, und nirgendwo sonst sind so viele Menschen Mitglieder von Umweltschutzorganisationen. Die Gründe hatte ich nie verstanden, bis ich kürzlich auf einer Reise in die Niederlande drei meiner dortigen Freunde danach fragte, während wir durch ein ländliches Gebiet fuhren. Die Antwort werde ich nie vergessen: »Sehen Sie sich doch hier nur um. Alle diese Felder, die Sie hier sehen, liegen unter dem Meeresspiegel. Ein Fünftel der Gesamtfläche der Niederlande liegt um bis zu sieben Meter unter der Meereshöhe. Früher waren das flache Buchten, und wir haben das Land dem Meer abgerungen, indem wir die Buchten mit Deichen verschlossen und dann das Wasser nach und nach hinausgepumpt haben. Wir sagen: ›Gott hat die Erde erschaffen, aber wir Niederländer haben die Niederlande erschaffen‹. Diese dem Meer abgerungenen Flächen bezeichnet man als ›Polder‹. Mit der Trockenlegung haben wir schon vor fast 1000 Jahren begonnen. Heute müssen wir ständig das Wasser hinauspumpen, das immer wieder einsickert. Dazu dienten früher unsere Windmühlen, sie haben die Pumpen angetrieben, mit denen die Polder trockengelegt wurden. Heute machen wir das mit Dampf-, Diesel- und Elektropumpen. In jedem Polder gibt es ganze Ketten von Pumpen; die erste steht am weitesten vom Meer entfernt, und sie pumpen das Wasser immer weiter, bis die letzte es in einen Fluss oder ins Meer befördert. Eine andere Redensart bei uns in den Niederlanden lautet: ›Du musst mit deinem Feind klarkommen, denn er betreibt vielleicht die Nachbarpumpe in deinem Polder.‹ Und in den Poldern sitzen wir alle. Es ist nicht so, dass die Reichen in Sicherheit oben auf den Deichen wohnen, während die Armen unten auf dem Polder unter dem Meeresspiegel leben müssen. Wenn die Deiche brechen oder die Pumpen versagen, ertrinken wir alle. Am 1. Februar 1953, als eine Sturmflut über die Provinz Zeeland hinwegfegte, ertranken fast 2000 Menschen, Reiche und Arme. Wir haben uns geschworen, dass wir so etwas nie wieder zulassen werden, und das ganze Land hat eine äußerst aufwendige Kette von Gezeitensperrwerken finanziert. Wenn die globale Erwärmung dazu führt, dass das Polareis schmilzt und der Meeresspiegel weltweit ansteigt, wird das auf die Niederlande schlimmere Auswirkungen haben als auf jedes andere Land der Welt, weil ein so großer Teil unserer Fläche ohnehin schon unter dem Meeresspiegel liegt. Das ist der Grund, warum wir Niederländer ein so starkes Umweltbewusstsein haben. Wir haben in unserer Geschichte gelernt, dass wir alle auf demselben Polder leben. Ob wir am Leben bleiben, hängt davon ab, ob auch alle anderen am Leben bleiben.« Diese Erkenntnis, dass alle Teile der niederländischen Gesellschaft voneinander abhängig sind, steht im Gegensatz zu dem derzeitigen Trend in den Vereinigten Staaten, wo die Reichen zunehmend bestrebt sind, sich von der übrigen Gesellschaft abzuschotten. Sie wollen ihre eigenen virtuellen Polder schaffen, kaufen Dienstleistungen mit ihrem eigenen Geld nur für sich und stimmen in Wahlen gegen Steuern, mit denen diese Annehmlichkeiten als staatliche Leistungen auch allen anderen zugute kämen. Solche Annehmlichkeiten sind beispielsweise das Wohnen in abgeschlossenen, bewachten Siedlungen, die sich nicht mehr auf die Polizei, sondern auf private Sicherheitsdienste verlassen, die Ausbildung der Kinder in gut finanzierten Privatschulen mit kleinen Klassen statt in den unzureichend ausgestatteten, überfüllten staatlichen Schulen, private Krankenversicherung und medizinische Versorgung, Verzehr von Wasser aus Flaschen anstelle des Leitungswassers und (in Südkalifornien) Fahrten auf gebührenpflichtigen Privatstraßen, die in Konkurrenz zu den verstopften öffentlichen Autobahnen stehen. Hinter dieser Privatisierung steht die falsche Annahme, eine Elite müsse von den Problemen der Gesellschaft um sie herum nicht betroffen sein: Es ist die Einstellung der schon mehrfach angeführten grönländischen Wikingerhäuptlinge, die am Ende feststellen mussten, dass sie für sich selbst nur das Privileg eingekauft hatten, als Letzte zu verhungern.
    Die Menschen waren während ihrer gesamten Geschichte fast immer in irgendeiner Form mit anderen Menschen verbunden und lebten gemeinsam auf kleinen virtuellen Poldern. Die Bewohner der Osterinsel bildeten ein Dutzend Sippen, teilten den Polder ihrer Insel in ein Dutzend Territorien auf und isolierten sich von allen anderen

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