Kollaps
Maßstäben des Staates Montana sind die Schulen im Kreis Ravalli schlecht finanziert. Die Etats der meisten Schuldistrikte liegen an der gesetzlich vorgeschriebenen Untergrenze. Das Durchschnittsgehalt der Lehrer in Montana ist eines der niedrigsten im gesamten Westen der USA, und insbesondere im Kreis Ravalli mit seinen gestiegenen Immobilienpreisen kann ein Lehrer von seinem niedrigen Gehalt kaum leben.
Viele Kinder, die in Montana geboren werden, verlassen den Staat: Manche streben eine andere Lebensweise an, und wer die Lebensweise von Montana beibehalten will, findet in dem Bundesstaat häufig keinen Arbeitsplatz. Ein Beispiel: In den Jahren, seit Steve Powell an der High School von Hamilton seinen Abschluss gemacht hat, sind 70 Prozent seiner Klassenkameraden aus dem Bitterroot Valley weggezogen. Meine Freunde, die sich in Montana zum Bleiben entschlossen haben, mussten sich ohne Ausnahme mit der schmerzlichen Frage auseinander setzen, ob ihre Kinder bleiben werden. Sämtliche acht Kinder von Allen und Jackie sowie sechs der acht Kinder von Jill und Eliel wohnen heute nicht mehr in Montana.
Wie die meisten Amerikaner im ländlichen Westen des Landes, so sind auch die Bewohner von Montana in der Regel konservativ, und allen staatlichen Vorschriften begegnen sie mit Misstrauen. Diese Einstellung hat ihre Wurzeln in der Geschichte: Die ersten Siedler lebten bei niedriger Bevölkerungsdichte in einem Grenzgebiet weit weg von den Verwaltungszentren. Sie mussten allein zurechtkommen und konnten nicht darauf warten, dass der Staat ihre Probleme löste. Vor allem sträuben sich die Bewohner Montanas dagegen, wenn die geographisch und psychologisch so weit entfernte Bundesregierung in Washington ihnen Vorschriften machen will. (Allerdings sträuben sie sich nicht gegen die Bundesmittel, die Montana erhält und annimmt:
Für jeden Dollar, der aus dem Staat nach Washington fließt, kommen ungefähr eineinhalb Dollar zurück.) Aus Sicht der Bewohner von Montana hat die städtisch geprägte Mehrheit, die auch die Bundesregierung beherrscht, keinen Begriff von den Bedingungen in den ländlichen Regionen. Und aus Sicht der Regierungsbeamten ist die Umwelt in Montana ein Schatz, der allen Amerikanern gehört und nicht nur dem Nutzen der Bürger dieses Bundesstaates dienen darf.
Aber selbst nach den Maßstäben von Montana herrscht im Bitterroot Valley eine besonders konservative, regierungskritische Einstellung. Das mag daran liegen, dass die ersten Siedler vielfach aus Staaten der Konföderation in das Tal kamen, und nach den Rassenunruhen in Los Angeles setzte aus dieser Stadt ein weiterer Zustrom von Rechtskonservativen ein. Extreme Vertreter der rechtskonservativen Einstellung bilden im Bitterroot Valley sogar so genannte Milizen: Gruppen von Grundbesitzern horten Waffen, weigern sich, Steuern zu bezahlen, vertreiben alle anderen von ihren Besitzungen und werden von den übrigen Talbewohnern entweder toleriert oder als paranoid abgetan.
Solche politischen Einstellungen führen unter anderem dazu, dass es im Bitterroot Valley eine starke Opposition gegen staatliche Landschafts- oder Bauplanung gibt. Allgemein herrscht die Ansicht, jeder Grundbesitzer könne mit seinem Eigentum verfahren, wie es ihm beliebt. Im Kreis Ravalli gibt es weder verbindliche Bauvorschriften noch umfassende Bebauungspläne. Abgesehen von zwei Ortschaften und einigen Baugebieten, die von den Wählern in ländlichen Gebieten außerhalb der Orte freiwillig ausgewiesen wurden, bestehen für die Nutzung der Landflächen keinerlei Einschränkungen. Eines Abends saß ich beispielsweise mit meinem halbwüchsigen Sohn Joshua in unserem Ferienhaus, und er las in der Zeitung von einem interessanten Film, der gerade in einem der beiden Kinos von Hamilton lief. Ich erkundigte mich nach dem Weg, brachte ihn hin und musste zu meinem Erstaunen feststellen, dass man das Kino in einem Gebiet errichtet hatte, wo noch vor kurzem nur Felder gewesen waren - abgesehen von einem großen biotechnologischen Institut gleich nebenan. Kein Bebauungsplan hatte die Nutzungsänderung der landwirtschaftlichen Flächen verhindert. In vielen anderen Regionen der USA ist die Öffentlichkeit so beunruhigt über den Verlust von Ackerland, dass seine Umwandlung in Gewerbegebiete durch Bebauungspläne verhindert wird, und besonders entsetzt wären die Wähler über die Vorstellung, dass ein Kino mit dem damit verbundenen Autoverkehr unmittelbar neben einer möglicherweise
Weitere Kostenlose Bücher