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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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ihre Kronen aus den Steinbrüchen abtransportiert wurden, führten durch viele Territorien, und eine Sippe, die in einem gewissen Abstand von den Steinbrüchen zu Hause war, brauchte die Genehmigung mehrerer Sippen aus den Gebieten dazwischen, durch die sie die Statuen und Zylinder transportieren musste. Auch Obsidian, der beste Basalt, Fische und andere räumlich beschränkte Ressourcen wurden auf ähnliche Weise über die gesamte Insel verteilt. Uns modernen Menschen, die wir in großen, politisch einheitlichen Staaten wie den USA leben, erscheint so etwas auf den ersten Blick selbstverständlich: Wir machen uns keine Gedanken darüber, dass Material über große Entfernungen von Küste zu Küste transportiert wird und unterwegs viele andere Bundesstaaten oder Provinzen durchquert. Aber dabei vergessen wir, wie schwierig es fast während der gesamten Geschichte für ein Land war, sich durch Verhandlungen Zugang zu den Ressourcen anderer Länder zu verschaffen. Dass es auf der Osterinsel im Gegensatz zu den großen Marquesas-Inseln zu einem solchen Zusammenhalt kam, liegt sicher an ihrer sanften Landschaft; auf den Marquesas-Inseln dagegen sind die Täler so tief, dass die Kommunikation mit dem Nachbartal (und auch Überfälle) meist nicht auf dem Landweg, sondern über das Meer stattfanden.
    Jetzt kehren wir zu dem Thema zurück, das jedem als Erstes einfällt, wenn von der Osterinsel die Rede ist: zu den riesigen Steinstatuen (die moai genannt werden) und den steinernen Plattformen (ahu), auf denen sie stehen. Man hat ungefähr 300 ahu identifiziert, viele davon klein und ohne moai, aber 113 von ihnen trugen Statuen, von denen 25 besonders groß und sorgfältig ausgeführt waren. Von dem runden Dutzend Territorien der Insel besaß jedes zwischen einer und fünf dieser großen ahu. Die meisten ahu , die Statuen trugen, befinden sich an der Küste und sind so orientiert, dass sie und ihre Statuen landeinwärts das Territorium der Sippe überblicken; die Statuen blicken nicht aufs Meer.
    Die ahu ist eine rechteckige Plattform und besteht nicht aus festem Gestein, sondern aus Geröll, das durch vier Stützmauern aus grauem Basalt festgehalten wird. Manche dieser Mauern, insbesondere jene von Ahu Vinapu, enthalten sehr schön gestaltete Steine, die an die Architektur der Inka erinnern und Thor Heyerdahl dazu veranlassten, eine Verbindung zu Südamerika herzustellen. Im Gegensatz zu den Mauern der Inkas bestehen die Seitenwände der ahu auf der Osterinsel aber nicht aus großen Felsblöcken, sondern sie sind nur mit Steinen verkleidet. Immerhin wiegt aber eine Steinplatte auf der Osterinsel immer noch zehn Tonnen, was sich eindrucksvoll anhört, solange man es nicht mit den Blöcken von bis zu 361 Tonnen in der Inkafestung Scasahuaman vergleicht. Die ahu sind bis zu knapp vier Metern hoch und dürften einschließlich ihrer Seitenflügel bis zu 150 Meter breit gewesen sein. Das Gesamtgewicht der ahu - von 300 Tonnen bei einer kleinen Plattform bis zu mehr als 9000 Tonnen bei der Ahu Tongariki - stellt also das der Statuen, denen sie als Unterlage dienten, in den Schatten. Auf die Bedeutung dieser Beobachtung werden wir später zurückkommen, wenn wir uns mit der Frage beschäftigen, welchen Aufwand der Bau von Statuen und Plattformen auf der Osterinsel insgesamt erforderte.
    Die rückwärtige (zum Meer gewandte) Stützmauer einer ahu steht ungefähr senkrecht, die Vorderwand dagegen fällt schräg zu einem flachen, rechteckigen Platz mit einer Kantenlänge von ungefähr 50 Metern ab. Im hinteren Teil einer ahu befinden sich Krematorien mit den sterblichen Überresten mehrerer tausend Menschen. Die Einäscherung wurde in Polynesien ausschließlich auf der Osterinsel praktiziert, ansonsten wurden Verstorbene einfach bestattet. Heute sind die ahu dunkelgrau, ursprünglich waren sie aber mit Weiß, Gelb und Rot wesentlich farbenfroher: Die Steinplatten auf der Vorderseite waren von weißen Korallen überzogen, das Gestein eines frisch behauenen moai war gelb, die Krone der Statue und ein waagerechter Steinstreifen auf der Vorderwand mancher ahu waren rot.
    Die moai stellen hochrangige Vorfahren dar. Jo Anne Van Tilburg hat ein Verzeichnis erstellt, das insgesamt 887 behauene Statuen umfasst; ungefähr die Hälfte davon befindet sich noch im Steinbruch von Rano Raraku, aber diejenigen, die man aus dem Steinbruch abtransportiert hatte, wurden zum größten Teil auf den ahu aufgestellt, wobei jede Plattform zwischen einer und

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