Kollaps
Menschen Schutz vor der Sonne fanden. Weisler entdeckte 18 solche Unterkünfte, davon 15 an der stark besiedelten Nord-, Nordost- und Nordwestküste in der Nähe der einzigen Strände; die drei übrigen (die alle sehr eng waren) befanden sich an den Klippen im Osten und Süden. Da Henderson so klein ist, dass Weisler praktisch die ganze Küste absuchen konnte, stellen die 18 Höhlen und Felsüberhänge sowie eine Unterkunft am nördlichen Strand die einzigen »Behausungen« der Inselbewohner dar.
An Holzkohle, Steinhaufen und den Stoppeln von Nutzpflanzen war zu erkennen, dass man den nordwestlichen Teil der Insel niedergebrannt und mühsam in kleine Felder verwandelt hatte. Dort wurden die Pflanzen auf natürliche kleine Bodenstücke gesetzt, die man vergrößerte, indem man die Steine an der Oberfläche zu Haufen aufschichtete. Die Siedler führten eine ganze Reihe polynesischer Nutzpflanzen ein, sodass man sie an den archäologischen Stätten von Henderson identifizieren konnte, und manche wachsen heute noch wild auf der Insel: Kokosnüsse, Bananen, Sumpftaro, möglicherweise auch echter Taro, mehrere Arten von Bäumen, aus denen man Bauholz gewinnen konnte, Lichtnussbäume, deren Nussschalen zu Beleuchtungszwecken verbrannt wurden, Hibiskusbäume mit Fasern zur Herstellung von Seilen, und Ti-Sträucher. Die zuckerhaltigen Wurzeln des Ti-Strauches dienen in anderen Teilen Polynesiens als Notration, auf Henderson waren sie aber offensichtlich ein Grundnahrungsmittel. Aus Ti-Blättern konnte man auch Kleidung, Hausdächer und Lebensmittelverpackungen herstellen. Alle diese zucker- und stärkehaltigen Pflanzen lieferten insgesamt eine kohlenhydratreiche Nahrung, und das ist wahrscheinlich der Grund, warum die von Weisler ausgegrabenen Zähne und Kiefer der Inselbewohner mit ihren vielen Spuren von Parodontitis, Abnutzung und ausgefallenen Zähnen für jeden Zahnarzt ein Albtraum gewesen wären. Ihr Protein bezogen die Inselbewohner zum größten Teil von den Wildvögeln und Meerestieren, aber einige Funde von Schweineknochen zeigen, dass sie zumindest gelegentlich auch Schweine hielten oder mitbrachten.
Im Südosten Polynesiens fanden Siedler also nur wenige potenziell bewohnbare Inseln vor. Mangareva konnte die größte Bevölkerung ernähren und war, was die Bedürfnisse des polynesischen Lebens betraf, mit Ausnahme hochwertigen Gesteins autark. Von den beiden anderen war Pitcairn so klein und Henderson ökologisch so karg, dass beide nur eine kleine Bevölkerung beherbergten, ohne dass sich dort auf lange Sicht eine lebensfähige Gesellschaft ausbilden konnte. Auf beiden fehlte es auch an wichtigen Ressourcen - auf Henderson war der Mangel so stark, dass wir heute nicht im Traum daran denken würden, dort ohne einen gut gefüllten Werkzeugkasten, Trinkwasser und Lebensmittel auch nur ein Wochenende zu verbringen; dass die Polynesier dort ständig wohnen und überleben konnten, erscheint uns geradezu unglaublich. Aber sowohl Pitcairn als auch Henderson boten ihren Bewohnern zum Ausgleich andere Attraktionen: auf Pitcairn hochwertiges Gestein, auf Henderson eine Fülle von Meerestieren und Vögeln.
Bei seinen archäologischen Ausgrabungen entdeckte Weisler eine Fülle von Anhaltspunkten, dass alle drei Inseln Handel miteinander trieben, wobei jeweils der Mangel einer Insel durch die Überschüsse der anderen ausgeglichen wurden. Selbst wenn die Handelswaren - beispielsweise Gegenstände aus Stein - keinen organischen Kohlenstoff enthielten, der sich für die Radiokarbondatierung eignen würde, kann man ihr Alter dennoch mit dieser Methode feststellen, wenn man Holzkohle untersucht, die man in der gleichen archäologischen Schichtung ausgegraben hat. Auf diese Weise wies Weisler nach, dass der Handel vermutlich wie die Besiedlung durch Menschen spätestens um das Jahr 1000 n. Chr. begann und dann über viele Jahrhunderte fortgesetzt wurde. Zahlreiche Objekte, die an Weislers Fundstätten auf Henderson ans Licht kamen, konnte man sofort als Importe identifizieren, weil sie aus Material bestanden, das es auf der Insel nicht gibt: Angelhaken und Gemüseschäler aus Austernschalen, Schneidwerkzeuge aus vulkanischem Glas, Äxte und Ofensteine aus Basalt.
Woher kamen diese Gegenstände? Einer plausiblen Vermutung zufolge stammten die Austernschalen für die Angelhaken von Mangareva, denn dort kommen die Austern in großen Mengen vor, während sie auf Pitcairn ebenso wie auf Henderson fehlen, und andere Inseln mit
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