Kollaps
Krebse, Tintenfische und eine begrenzte Vielfalt von Fischen und Muscheln - darunter leider keine Großen Perlmuscheln. Auf der Insel befindet sich der einzige bekannte Niststrand für Schildkröten, die hier jedes Jahr zwischen Januar und März an Land kommen, um ihre Eier abzulegen. Früher nisteten auf Henderson auch mindestens 17 Arten von Seevögeln. Unter anderem gab es Kolonien von mehreren Millionen Sturmvögeln, eine Spezies, deren ausgewachsene Tiere und Junge man leicht aus dem Nest heraus fangen kann; ihre Zahl war so groß, dass 100 Menschen jeweils einen Vogel pro Tag verzehren konnten, ohne den Bestand der Kolonie zu gefährden. Ebenso beherbergte die Insel neun Arten von Landvögeln, fünf davon flugunfähig oder schlechte Flieger und deshalb ebenfalls einfach zu fangen; drei von ihnen waren große Taubenarten, die sicher besonders schmackhaft waren.
Mit allen diesen Eigenschaften hätte Henderson sich sicher hervorragend für ein nachmittägliches Picknick am Strand geeignet, oder auch für einen kurzen Urlaub, in dem man sich von Meerestieren, Vögeln und Schildkröten ernährt. Aber als Heimat für eine dauerhafte Existenz lag es gefährlich nahe an der Grenze des Möglichen. Zur Überraschung aller, die Henderson schon einmal gesehen oder davon gehört hatten, konnte Weisler mit seinen Ausgrabungen dennoch nachweisen, dass offensichtlich eine kleine Bevölkerung dauerhaft auf der Insel heimisch war. Vermutlich bestand sie nur aus wenigen Dutzend Menschen, die sich äußerste Mühe geben mussten, um zu überleben. Den Beweis, dass es sie gab, lieferten 98 menschliche Knochen und Zähne, die von mindestens zehn Erwachsenen (sowohl Männer als auch Frauen, manche davon über 40 Jahre alt), sechs halbwüchsigen Jungen und Mädchen sowie vier Kindern im Alter zwischen fünf und zehn Jahren stammten. Insbesondere die Kinderknochen lassen auf eine ständige Besiedelung schließen; wenn die Bewohner von Pitcairn heute nach Henderson fahren, um Holz zu sammeln oder Meerestiere zu fangen, nehmen sie in der Regel keine kleinen Kinder mit.
Eine weitere Spur dieser frühen Siedler ist eine riesige Abfallgrube, eine der größten, die man in Südostpolynesien kennt. Sie erstreckt sich rund 300 Meter lang und 30 Meter breit entlang des Strandes an der Nordküste mit Blick auf die einzige Passage, die durch das vorgelagerte Riff von Henderson führt. Weisler und seine Kollegen nahmen kleine Versuchsgrabungen vor und identifizierten den Abfall, den Generationen von Menschen dort nach ihren Mahlzeiten zurückgelassen hatten; dabei fanden sie gewaltige Mengen von Fischknochen (14 751 Fischknochen in einem guten halben Kubikmeter Sand, den sie untersuchten!) sowie 42 213 Knochen von Seevögeln (insbesondere Sturmtaucher, Sturmschwalben und Tropikvögel) und Tausende von Landvogelknochen (vor allem von flugunfähigen Tauben, Rallen und Wasserläufern). Rechnet man diese Zahlen aus Weislers kleinen Versuchsgrabungen auf die gesamte Abfallgrube hoch, müssen die Bewohner von Henderson im Lauf der Jahrhunderte die Überreste vieler zigmillionen Fische und Vögel weggeworfen haben. Aus dem gleichen Abfall stammen auch die ältesten Radiokarbondatierungen im Zusammenhang mit Menschen, und die zweitälteste Datierung findet man an einem Niststrand der Schildkröten an der Nordostküste; man kann also davon ausgehen, dass die Menschen sich anfangs in jenen Gebieten niederließen, in denen sie wild lebende Tiere fangen und sich auf diese Weise gut mit Nahrung versorgen konnten.
Wo konnten Menschen auf einer Insel leben, die nicht mehr ist als ein angehobenes Korallenriff voller niedriger Bäume? Als Einzige unter allen Inseln, die von Polynesien! besiedelt sind oder früher besiedelt waren, trägt Henderson so gut wie keine Anzeichen von Bauwerken - die sonst üblichen Häuser und Tempel fehlen völlig. Es gibt nur drei Anzeichen für Gebäude: ein Steinpflaster und Pfostenlöcher in der Abfallgrube, die auf Fundamente eines Hauses oder Unterstandes hinweisen; eine kleine, niedrige Windschutzwand; und einige Platten aus Korallengestein, die eine Grabkammer bildeten. Dafür fand man aber in Höhlen und unter Felsüberhängen, die in Küstennähe lagen, über einen flachen Boden verfügten und eine zugängliche Öffnung hatten, buchstäblich ausnahmslos Abfälle von früheren menschlichen Siedlern - in manchen Fällen handelte es sich um nur drei Meter breite und zwei Meter tiefe Nischen, die kaum ausreichten, damit einige
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