Kollaps
den Gesellschaftsinseln im Westnordwesten und möglicherweise auch den Tubuai-Inseln genau im Westen. Als Zwischenstationen auf diesen Reisen dienten Dutzende von Korallenatollen im Tuamotu-Archipel. Während Mangareva mit mehreren tausend Einwohnern die Bevölkerung von Pitcairn und Henderson in den Schatten stellte,’ wurde es selbst von den Bevölkerungszahlen auf den Gesellschafts- und Marquesas-Inseln, die jeweils rund 100 000 Einwohner hatten, bei weitem übertroffen.
Handfeste Belege für dieses größere Handelsnetz ergaben sich aus Weislers chemischen Untersuchungen am Basalt: Unter den 19 Äxten, die er auf Mangareva fand und analysierte, konnte er zwei identifizieren, deren Gestein aus einem Steinbruch auf den Marquesas-Inseln stammte, und das Material einer weiteren kam aus einem Steinbruch auf den Gesellschaftsinseln. Weitere Indizien lieferten Werkzeuge wie Äxte, Beile, Angelhaken, Tintenfischköder, Harpunen und Feilen, die sich in ihrer Machart von Insel zu Insel unterschieden. Stilähnlichkeiten zwischen verschiedenen Inseln und die Tatsache, dass Werkzeuge eines Typs auf einer anderen Insel auftauchen, sprechen insbesondere für den Handel zwischen den Marquesas-Inseln und Mangareva, wobei eine Häufung von Werkzeugen im Marquesas-Stil auf Mangareva für einen Höhepunkt des Handelsverkehrs zwischen 1100 und 1300 n. Chr. spricht. Belege ganz anderer Art fand der Sprachforscher Steven Fischer: Nach seinen Untersuchungen stammt die Sprache von Mangareva in ihrer aus jüngerer Zeit bekannten Form von jener ab, die ursprünglich mit den ersten Siedlern auf die Insel gelangte und sich dann durch spätere Kontakte mit der Sprache der südöstlichen Marquesas-Inseln (das heißt mit dem Teil des Marquesas-Archipels, der Mangareva am nächsten liegt) stark veränderte.
Der Handel und die Kontakte in diesem größeren Verbund hatten sicher wirtschaftliche Funktion, genau wie in dem kleineren Netz zwischen Mangareva, Pitcairn und Henderson. Die Ressourcen der verschiedenen beteiligten Inselgruppen ergänzten einander. Das »Mutterland« waren die Marquesas-Inseln.
Der Handel florierte in Südostpolynesien ungefähr von 1000 bis 1450 n. Chr.; dies belegen die Funde in archäologischen Schichten auf Henderson, die mit der Radiokarbonmethode datiert wurden. Um das Jahr 1500 jedoch kam er sowohl in Südostpolynesien als auch auf den anderen Routen, die von der Drehscheibe Mangareva ausgingen, zum Erliegen. Spätere archäologische Schichten auf Henderson enthalten keine importierten Austernschalen aus Mangareva mehr, kein Vulkanglas und keinen feinkörnigen Basalt von Pitcairn zur Herstellung von Schneidwerkzeugen, und keine Basalt-Ofensteine von Mangareva oder Pitcairn. Offensichtlich trafen von beiden Inseln keine Kanus mehr ein.
Da die Bäume auf Henderson selbst zum Bootsbau zu klein sind, saß die Bevölkerung von wenigen Dutzend Menschen nun auf einer der abgelegensten, unwirtlichsten Inseln der Welt fest. Damit standen die Bewohner von Henderson vor einem Problem, das uns heute unlösbar erscheint: Wie sollten sie auf einem Kalksteinriff überleben, ohne Metalle, ohne Steine mit Ausnahme des Kalksteins und ohne irgendwelche Importe?
Die Methoden, mit denen sie sich am Leben erhielten, erscheinen mir wie eine Mischung aus Erfindungsreichtum, Verzweiflung und Heldentum. Als Material für die Äxte verwendeten sie nun keine Steine mehr, sondern die Schalen von Riesenmuscheln. Zum Bohren von Löchern benutzten sie Vogelknochen. Als Ofensteine dienten ihnen Kalkstein, Korallen oder große Muschelschalen, aber alle diese Materialien sind dem Basalt unterlegen, weil sie die Wärme nicht so lange festhalten und nach dem Erhitzen häufig brechen, sodass sie nicht so oft wiederverwendet werden können. Angelhaken wurden aus den Schalen von Kugelkrabben hergestellt, die aber wesentlich kleiner sind als die Gehäuse der Großen Perlmuscheln, sodass jede Schale nur einen Haken liefert (im Vergleich zu einem Dutzend bei einer Perlmuschelnschale).
Wie man aus der Radiokarbondatierung ablesen kann, überlebte die Bevölkerung von Henderson, die ursprünglich aus einigen Dutzend Menschen bestand, mit solchen Bemühungen noch über mehrere Generationen; nachdem der Kontakt mit Mangareva und Pitcairn völlig abgerissen war, blieb sie möglicherweise noch über ein Jahrhundert bestehen. Im Jahr 1606 jedoch, als Henderson von den Europäern »entdeckt« wurde, existierte die Bevölkerung nicht mehr: Die Besatzung eines
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