Kollaps
Bootes, das von einem vorüberfahrenden spanischen Schiff kam und auf der Insel landete, entdeckte niemanden. Auf Pitcairn war die einheimische Bevölkerung spätestens 1790 verschwunden (in diesem Jahr trafen die Meuterer von der Bounty ein und fanden die Insel unbewohnt vor), vermutlich gab es sie aber schon viel früher nicht mehr.
Warum kamen die Kontakte zwischen Henderson und der Außenwelt zum Erliegen? Die Ursache lag in einem katastrophalen Wandel der Umwelt auf Mangareva und Pitcairn. Durch die Besiedlung der Inseln Polynesiens, die sich über Jahrmillionen ohne Menschen entwickelt hatten, kam es überall zur Zerstörung von Lebensräumen und zum Massenaussterben von Pflanzen und Tieren. Mangareva war insbesondere durch Waldzerstörung gefährdet, und zwar im Wesentlichen aus den gleichen Gründen, die ich im vorangegangenen Kapitel bereits für die Osterinsel genannt habe: hohe geographische Breite, geringe Asche- und Staubniederschläge, und so weiter. Am stärksten wurden die Lebensräume im hügeligen Landesinneren von Mangareva zerstört, wo die Bewohner immer mehr Bäume abholzten, um ihre Felder anzulegen. Die Folge war, dass der Regen den Mutterboden die steilen Abhänge hinunterspülte, und an die Stelle des Waldes trat eine Savanne mit Farnen, denn diese gehörten zu den wenigen Pflanzen, die auf dem nackten Untergrund noch gediehen. Durch die Bodenerosion verschwanden im Gebirge große Teile der Flächen, die auf Mangareva bis dahin für Felder und nützliche Bäume zur Verfügung gestanden hatten. Da keine Bäume für den Bau von Kanus mehr übrig blieben, ging durch die Waldzerstörung indirekt auch der Ertrag der Fischerei zurück. Als Europäer die Insel im Jahr 1797 »entdeckten«, besaßen die Einheimischen keine Kanus mehr, sondern nur Flöße.
Da es nun auf Mangareva zu viele Menschen und zu wenig zu essen gab, glitt die Gesellschaft in einen Albtraum des Bürgerkrieges und des chronischen Hungers ab, an dessen Folgen sich selbst die heutigen Inselbewohner noch in allen Einzelheiten erinnern. Um sich Proteine zu beschaffen, gingen die Menschen zum Kannibalismus über, und dabei verzehrten sie nicht nur kürzlich Verstorbene, sondern auch Leichen, die ausgegraben wurden. Um die wenigen verbliebenen Landflächen, die noch landwirtschaftlich nutzbar waren, brachen ständige Kämpfe aus, wobei die Sieger jeweils das Land der Verlierer unter sich aufteilten. An die Stelle eines geordneten politischen Systems mit der Erbfolge von Häuptlingen traten Kriegsherren ohne erbliche Stellung. Der Gedanke an Miniatur-Militärdiktaturen im Osten und Westen von Mangareva, die um die Herrschaft über eine nur acht Kilometer lange Insel kämpften, könnte uns heute geradezu komisch erscheinen, wenn er nicht so tragisch wäre. Selbst wenn noch Bäume für Kanus zur Verfügung gestanden hätten, wäre es wegen des politischen Durcheinanders schwierig gewesen, Arbeitskräfte und Proviant für Hochseereisen bereitzustellen und das eigene Feld einen Monat lang unbewacht zu lassen. Mit dem Zusammenbruch seiner Drehscheibe zerfiel das gesamte ostpolynesische Handelsnetz, das Mangareva mit den Marquesas-, Gesellschafts- und Tuamotu-Inseln, Pitcairn und Henderson verbunden hatte, eine Entwicklung, die Weisler mit seinen Untersuchungen an den Basaltäxten dokumentieren konnte.
Über die Veränderung der Umwelt auf Pitcairn wissen wir zwar viel weniger, aber begrenzte archäologische Ausgrabungen, die Weisler dort vornahm, belegen auch auf dieser Insel eine umfangreiche Waldzerstörung und Bodenerosion. Auch Henderson litt unter Umweltschäden. Fünf ihrer neun Landvogelarten (darunter alle drei großen Taubenarten) und die Brutkolonien von sechs Seevogelarten wurden ausgerottet. Die Ursachen dieser Vernichtung waren wahrscheinlich Jagd, Lebensraumzerstörung durch das Abbrennen größerer Flächen zur Anlage von Feldern und die räuberischen Ratten, die als blinde Passagiere mit den Kanus der Polynesier auf die Insel kamen. Noch heute sind diese Ratten hinter Hühnern und den ausgewachsenen Seevögeln der noch verbliebenen Arten her, die ihre Evolution ohne die Nager durchgemacht haben und sich deshalb nicht verteidigen können. Felder wurden auf Henderson archäologischen Befunden zufolge erst nach dem Verschwinden dieser Vögel angelegt, was darauf schließen lässt, dass die Menschen zum Anbau von Pflanzen gezwungen waren, nachdem ihre ursprünglichen Nahrungsquellen immer mehr versiegten. In jüngeren
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