Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
Geld verdienen wollte. Da es in der Chesapeake Bay weder Gold noch Silber gab, war Profit am ehesten mit Produkten zu erzielen, die sich ins Mutterland exportieren ließen. In Neuengland verkauften die Pilgerväter Biberfelle, in der Chesapeake Bay widmeten sich die Engländer dem Tabak, für den es eine gewaltige Nachfrage gab. Um diesen Bedarf zu befriedigen, wollten die Kolonisten die Anbaufläche erweitern. Dazu mussten sie riesige Bäume mit einfachem Werkzeug fällen, den Boden unter der sengenden Sonne aufbrechen, hacken, bewässern und die wachsenden Tabakpflanzen beschneiden, die schweren, klebrigen Blätter abschneiden, sie an ein Trockengestell hängen und zum Verschiffen in Fässer verpacken. Für all das brauchte man eine Menge Arbeitskräfte. Woher konnten die Kolonisten sie bekommen?
Bevor wir diese Frage beantworten, wollen wir von der vielfach belegten Annahme ausgehen, dass die Kolonisten wenig moralische Skrupel hinsichtlich der Antwort hatten und nur an der Maximierung von Bequemlichkeit und Profit interessiert waren. So gesehen, gab es für sie zwei mögliche Quellen für die benötigten Arbeitskräfte: Vertragsdiener aus England oder Sklaven aus nicht englischen Gebieten – Indianer oder Afrikaner. Diener oder Sklaven: Was war, ökonomisch betrachtet, die beste Wahl?
Vertragsdiener waren Arbeiter, die in England aus dem Heer der Arbeitslosen angeworben wurden und sich für einen gewissen Zeitraum verpflichten mussten. Da sich die Armen die kostspielige Seereise nicht leisten konnten, zahlten die Pflanzer für die Überfahrt, und die Vertragsdiener arbeiteten die Schulden ab, in der Regel über einen Zeitraum von vier bis sieben Jahren. Danach waren sie wieder frei und konnten eigenes Land in Amerika beanspruchen. Die Sklaverei lässt sich schwerer definieren, weil es sie in vielen verschiedenen Spielarten gab. Entscheidend ist jedoch, dass der Besitzer seine Sklaven zur Arbeit zwingen darf, Sklaven aber nie das Recht erhalten, ihre Besitzer zu verlassen. Vertragsdiener waren Mitglieder der Gesellschaft, wenn auch von niederer Stellung. In der Regel wurde Sklaven dieser Status nicht zugebilligt, entweder weil ihr Geburtsland in weiter Ferne lag oder weil sie ihre soziale Stellung in irgendeiner Weise verwirkt hatten – so wurden in England Strafgefangene gelegentlich zu Sklaven gemacht.
Im letzten Viertel des 17 . Jahrhunderts ließ England lieber Sklaven als Vertragsdiener arbeiten – ja, das Land wurde zum weltweit größten Sklavenhalter. Heute ist uns die englische Entscheidung für die Sklaverei so selbstverständlich, dass wir uns kaum eine andere Entwicklung vorstellen können. Doch unter vielerlei Aspekten ist die Hinwendung zu dieser Form der Leibeigenschaft erstaunlich – die Institution hat so viele hausgemachte Probleme, dass Wirtschaftswissenschaftler sich häufig fragen, warum es sie überhaupt gibt. Noch verwunderlicher ist die Spielart, die sich in Amerika durchsetzte: die Besitzsklaverei
(chattel slavery)
, ein System, das viel rücksichtsloser war als alle Formen, die es vorher in Europa oder Afrika gegeben hatte.
Vordergründig betrachtet, waren Sklaven kostspieliger als Diener. In einer viel beachteten Studie verglich Russell R. Menard von der University of Minnesota für Virginia und Maryland die Preise von Sklaven und Dienern, deren Dienste nach dem Tod ihrer Herren verkauft wurden. In den letzten Jahrzehnten des 17 . Jahrhunderts betrug der Durchschnittspreis für einen erstklassigen männlichen Sklaven afrikanischer Herkunft fünfundzwanzig Pfund. Dagegen kostete der Vertrag eines Dieners in der Regel etwa zehn Pfund. Genauer, die Preise entsprachen fünfundzwanzig und zehn Pfund, fand Menard heraus, denn Münzen waren in der Chesapeake-Kolonie knapp und sogar illegal, daher bezahlten die Leute ihre Rechnungen mit Tabak. Damals waren fünfundzwanzig Pfund eine beträchtliche Summe: im Durchschnitt der Vierjahreslohn eines in England angeworbenen Arbeiters. Die Vertragsdiener waren erheblich billiger. [214]
Natürlich war das Abhängigkeitsverhältnis der Diener zeitlich begrenzt, was ihren Wert beeinträchtigte; um diesem Umstand Rechnung zu tragen, berücksichtigte Menard nur Diener, deren Verträge noch eine Laufzeit von mehr als vier Jahren hatten. Doch die längere Dienstzeit, die von einem Sklaven zu erwarten war, lieferte nach Ansicht des bedeutenden Nationalökonomen Adam Smith keinen wirtschaftlichen Rechtfertigungsgrund für die Sklaverei: Sklaven
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