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Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Titel: Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles C. Mann
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Schwarzafrika zogen. Damals gab es in Algier allein oft 1500 englische Sklaven; die marokkanische Stadt Salé brachte es sogar auf doppelt so viele. Einige wurden nach Spanien und Portugal verkauft. Flüchtlinge, die grausige Erinnerungen an ihre Jahre unter der Peitsche veröffentlichten, schürten die Empörung der Öffentlichkeit; Geistliche brandmarkten in ihren Predigten die muslimische Sklavenhaltung und führten in den Kirchen Kollekten durch, um Gefangene freizukaufen. Leidenschaftlich proklamierten politische Führer, protestantische Pfarrer und Rechtsgelehrte die Freiheit zum englischen Geburtsrecht und verurteilten die Heiden und Papisten – Nordafrikaner und Spanier –, die wackere Landsleute versklavten. [216]
    Im Mittelalter war die Sklaverei in England – wie in ganz Europa – weit verbreitet gewesen. In Spanien und Portugal, die in den Konflikt mit den Muslimen verstrickt waren und nicht genügend Arbeitskräfte für ihre Zuckerplantagen hatten, blieb sie auch weiterhin ein nutzbringendes Geschäft – davon mehr in Kapitel  8 . In England dagegen wurde sie zur Ausnahme – nicht wirklich ungesetzlich, aber selten –, aus politischen Gründen, aus den von Smith beschriebenen wirtschaftlichen Gründen und weil die Sklaverei als Institution nicht sehr beliebt war in einem Land, in dem die Massen der Arbeitslosen überhandnahmen. Mit einer öffentlichen Meinung, die sich über die Leibeigenschaft empörte, und ohne eine heimische Sklavenhaltung, die es zu schützen gegolten hätte, waren die Engländer eigentlich alles andere als aussichtsreiche Kandidaten für die Etablierung der Sklaverei. [217]
    Infolgedessen hielten sich die Kolonisten zunächst an Vertragsdiener und verzichteten weitgehend auf Sklaven. Etwa ein Drittel bis die Hälfte der Europäer, die in den ersten hundert Jahren Kolonisation in Nordamerika eintrafen, waren Vertragsdiener, [218] Sklaven selten – 1650 gab es nur dreihundert in ganz Virginia. Im Vergleich dazu hatten die wenigen Niederländer in Neu-Amsterdam, dem kolonialen Vorläufer New Yorks, fünfhundert Leibeigene. Als dann mehr englische Schiffe nach Nordamerika kamen, wurden sie allmählich häufiger. [219]
    Zwischen 1680 und 1700 vervielfachte sich plötzlich die Zahl der Sklaven. Für Virginia schnellte sie in diesen Jahren von 3000 auf mehr als 16 000 empor – und setzte auch danach den steilen Anstieg fort. Im gleichen Zeitraum ging die Zahl der Vertragsdiener extrem zurück. Das war ein Wendepunkt der Weltgeschichte, der Zeitraum, in dem Angloamerika zu einer Sklavengesellschaft wurde und England eine dominierende Rolle im Sklavenhandel übernahm. [220]
    Was erklärt diese Kehrtwende? Wirtschaftswissenschaftler und Historiker haben sich jahrzehntelang den Kopf darüber zerbrochen. Es war nicht die Aussicht auf Gewinne aus dem Handel selbst: Das Sklavengeschäft war ungeheuer wichtig als historische Kraft und moralischer Makel, aber weniger als Wirtschaftszweig. In ihrer Blütezeit gegen Ende des 18 . Jahrhunderts betrafen die Sklaventransporte laut den Historikern David Eltis und Stanley L. Engerman «weniger als 1 , 5  Prozent der britischen Schiffe und weniger als drei Prozent des britischen Seefrachtvolumens». Karibischer Zucker, das Haupterzeugnis der Sklavenarbeit, hatte damals einen Anteil von etwas weniger als 2 , 5  Prozent am britischen Bruttoinlandsprodukt, das war stattlich, aber nicht überwältigend; beispielsweise hatte die Textilindustrie einen sechsmal größeren Anteil. Sklaven produzierten Rohstoffe, nicht die weit wertvolleren industriell gefertigten Produkte. [221]
    Man hat vorgebracht, in England habe es einen Wandel der öffentlichen Meinung gegeben, weil die amerikanischen Kolonien für die Sklaverei besonders geeignet gewesen seien – wegen des Landes, das so reichlich zur Verfügung stand. Im
Wohlstand der Nationen
sagte Adam Smith voraus, dass die Arbeiter beim Anblick des verfügbaren Landes ihre Stellungen verlassen würden, «um selbst Grundbesitzer zu werden». Sie würden andere Arbeiter einstellen, denen es genauso erginge, und «so werden auch sie in kurzer Zeit aus den gleichen Gründen ihre Beschäftigung aufgeben». Es dauerte mehr als ein Jahrhundert, bis andere Wirtschaftswissenschaftler die ganze Bedeutung des Smith’schen Gedankens ausarbeiteten: Da die Plantagenbesitzer ihre Arbeiter ständig an die Verlockung des billigen Landes verloren, wurde der Wunsch in ihnen geweckt, die Bewegungsfreiheit ihrer

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