Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
hätten den immanenten Nachteil, so Smith, dass sie unzufriedene Arbeiter seien. Da sie gewöhnlich aus fernen Kulturen stammten, waren sie häufig nicht der Sprache ihrer Besitzer mächtig und unter Umständen mit der neuen Gesellschaft so wenig vertraut, dass sie einer grundlegenden Unterweisung bedurften – Afrikaner beispielsweise kannten nur tropische Formen der Landwirtschaft. Schlimmer noch, sie hatten jeden Grund, zu fliehen, Sabotage zu verüben oder ihre Besitzer umzubringen, denn von diesen wurde ihnen ihre Freiheit vorenthalten. Dagegen sprachen Vertragsdiener dieselbe Sprache, hielten sich an dieselben sozialen Normen und kannten dieselben landwirtschaftlichen Methoden. Da ihre Verträge nur für begrenzte Zeit galten, meinte Smith weiter, hatten sie kaum einen Grund davonzulaufen, solange sie nicht den Eindruck haben mussten, der Pflanzer wolle sie betrügen. Weil willige Leute ihre Aufgaben in der Regel sorgfältiger verrichteten, gelangt Smith im
Wohlstand der Nationen
zu dem Schluss, «daß die von freien Menschen geleistete Arbeit letztlich immer billiger kommt als die, welche Sklaven verrichten». Bei ansonsten gleichen Bedingungen würden die wirtschaftlichen Gründe den Schluss nahelegen, dass die Pflanzer sich für die billigere, bequemere und ungefährlichere Alternative entschieden hätten: Diener aus Europa.
Smith, der die Sklaverei verabscheute, versuchte zu beweisen, dass die Einrichtung, die er für unhinnehmbar hielt, nicht nur unmoralisch war, sondern auch töricht aus wirtschaftlicher Sicht. Die Sklaverei sei im Wesentlichen das irrationale Resultat der menschlichen Natur, die «herrschsüchtig» sei. Doch er war auch der Meinung, dass Menschen immer bemüht sind, wirtschaftliche Probleme zu umgehen, die ihren Wünschen im Wege stehen: So hätten Sklavenhalter im Laufe der Geschichte immer wieder Anreize geschaffen, um ihre Sklaven zu besserer Arbeit anzuhalten – und ihnen die Freiheit in Aussicht gestellt. Arbeite fleißig und ordentlich, sagten die Herren, und du kannst irgendwann als freier Mann gehen. Häufig wurden, so Smith, den Sklaven auch Aufgaben zugeteilt, die ein gewisses Maß an Befriedigung brachten, wie im Fall der afrikanischen oder römischen Armeen, die aus gefangenen Soldaten zusammengestellt waren – die Sklaven hatten gewissermaßen die Seiten gewechselt, aber ihr Leben blieb in vielerlei Hinsicht unverändert, und sie hatten nach wie vor die Aussicht, Ruhm zu ernten. [215]
Etwas ganz anderes war jedoch die Sklaverei in Amerika: in den meisten Fällen die lebenslängliche Verurteilung zu fürchterlicher Arbeit unter brutalen Bedingungen ohne jede Hoffnung, jemals in Freiheit zu kommen. All die leistungshemmenden Faktoren, die Smith im Zusammenhang mit der Sklavenarbeit aufzählt, kamen hier in einem Maße zusammen wie selten zuvor; keine der in der Vergangenheit entwickelten Umgehungslösungen wurde genutzt. Das System war so brutal, dass es nach Smith Drückebergerei, Sabotage und Streit erzeugen musste – und tatsächlich sind die Berichte der Sklavenhalter eine endlose Litanei von Klagen und Ängsten. Wie kam es dazu?
Von allen Nationen Westeuropas hätte man England am allerwenigsten zugetraut, diese besonders brutale Form der Leibeigenschaft zu praktizieren, weil dort der Widerstand gegen Sklaverei breiter war als im übrigen Europa. Wenn es irgendwo auf diesem Kontinent eine Kultur gab, die Sklaverei ablehnte, dann in England. Das hatte weniger mit der moralischen Entwicklung des Landes zu tun als mit der zornigen Reaktion darauf, dass seine Schiffe ständig im Visier maurischer Piraten waren, die im Zeitraum vom 16 . bis zum 18 . Jahrhundert Zehntausende englische Seeleute, Soldaten und Kaufleute versklavten. Von Stützpunkten in Nordwestafrika operierend, wagten sich diese muslimischen Korsaren bis hoch in den Norden, in den Ärmelkanal hinein, wo sie Küstendörfer plünderten und vor Anker liegende Schiffe überfielen; in nur zehn Tagen hätten, so klagte der Bürgermeister von Plymouth im Jahr 1625 , vor dem Hafen lauernde Freibeuter siebenundzwanzig Schiffe gekapert. Gleichwohl musste sich England den Vorwurf der Heuchelei gefallen lassen, feierte man dort doch Francis Drake, der die spanischen Kolonien auf ähnliche Weise terrorisierte, als Seehelden. Die meisten englischen Gefangenen wurden auf Galeeren geschickt, viele zum Islam zwangsbekehrt, andere verschwanden in Sklavenkarawanen, die durch die Wüsten ins osmanische Ägypten oder nach
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