Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
Leute einzuschränken. Leibeigenschaft war das unvermeidliche Endresultat. Paradoxerweise wurde also Amerikas weit offener Horizont eine Triebfeder zur Einführung der Sklaverei. [222]
In gewisser Hinsicht muss diese These stimmen; es würde keine Sklaverei geben, wenn Arbeitgeber nicht die Bewegungen ihrer Arbeiter kontrollieren wollten. Aber sie erklärt nicht, warum die Sklaverei in den englischen Kolonien Neuenglands und New Yorks, wo es Land in Hülle und Fülle gab, sehr selten war, hingegen häufig in den englischen Kolonien auf Barbados und St. Kitts, obwohl auf diesen karibischen Inseln sehr wenig Land zur Verfügung stand. Daher entschieden sich viele Forscher für eine zweite Erklärung: Englands Bürgerkrieg Mitte des 17 . Jahrhunderts, der zu den weltweiten Unruhen gehörte, die mit der Kleinen Eiszeit und den Unwägbarkeiten des Silberhandels einhergingen. Der Konflikt war katastrophal; zwischen 1650 und 1680 ging die Bevölkerung des Landes um fast zehn Prozent zurück. Wie jeder Wirtschaftswissenschaftler vorhersagen würde, trieb die Verknappung der Arbeitskräfte die Löhne in England empor, was natürlich den Preis erhöhte, der zu zahlen war, um Vertragsdiener über den Atlantik zu locken. Inzwischen trugen jene Vertragsdiener, die ihre Zeit in Massachusetts, Virginia und Carolina abgeleistet hatten, neue Plantagen gründeten und jetzt selbst Vertragsdiener brauchten, zur Erhöhung der Nachfrage bei, was, wie nicht anders zu erwarten, die Preise noch weiter steigen ließ. [223]
Auch diese Erklärung wird richtig sein; jede Kostensteigerung der Vertragsdiener musste die Attraktivität von Alternativen erhöhen. Das erklärt aber nicht, warum die Kolonisten sich für ihre besondere Alternative entschlossen: gefangene Afrikaner. Die Pflanzer hätten Arbeitskräfte in Schottland und – nicht ganz so zahlreich – in Irland finden können, die auf unterschiedliche Weise in den Aufruhr des englischen Bürgerkriegs hineingezogen worden waren. Die Kleine Eiszeit hatte sich verschärft, sodass das Meer zu kalt für den Kabeljau geworden war, die Schneedecke auf den Hügeln immer dicker wurde und die Bevölkerung unter einer Reihe von Missernten zu leiden hatte. In der schlimmsten Zeit, zwischen 1693 und 1700 , fiel die schottische Haferernte bis auf ein einziges Jahr gänzlich aus. Scharen verzweifelter Schotten verließen ihre Heimat. [224] Tausende verdingten sich als Söldner in Russland, Schweden, Norwegen und den deutschen Fürstentümern; Tausende eröffneten Geschäfte im Norden Irlands, womit sie einen kulturellen Konflikt auslösten, der bis in die Gegenwart anhält. Horden schottischer Flüchtlinge streiften durch Londons Straßen und bettelten um Arbeit und Essen – naheliegende Kandidaten, so sollte man meinen, für die amerikanischen Kolonien. Seit Jahrhunderten beschäftigten englische Landwirte schottischstämmige Arbeiter. Doch ausgerechnet in der Zeit, da die Zahl verzweifelt Arbeit suchender Schotten in die Höhe schnellte, entschieden sich die Kolonisten für gefangene Afrikaner – Menschen, die nicht die Sprache ihrer Herren sprachen, keinerlei Neigung zur Kooperation zeigten und höhere Transportkosten verursachten. Warum?
Um diese Frage zu klären, können wir unter anderem betrachten, welches Schicksal der größten Gruppe von Schotten beschieden war, die in diesen Jahren nach Amerika reiste: den schottischen Kolonisten in Panama. Von dem umtriebigen Profitjäger William Paterson organisiert, sah der Plan vor, mit Hilfe der strategisch günstigen Lage Panamas das Quasimonopol Spaniens auf den Silber- und Seidenhandel zu brechen. «Mit seiner Lage zwischen den beiden größten Meeren des Universums», schwärmte Paterson, würde die Kolonie «mindestens zwei Drittel dessen kontrollieren, was beide Indien [das heißt, das seidenreiche Asien und das silberreiche Amerika] der Christenheit zu bieten haben.» Schottisch-Panama, so versprach er, werde zum «Schiedsrichter der Handelswelt», ein finanzielles Perpetuum mobile, das Reichtümer ohne Ende ausspeie, indem es beweise, dass «der Handel in der Lage ist, den Handel anzutreiben, und Geld, Geld zu zeugen bis ans Ende der Welt». [225]
Berauscht von dieser Vision beteiligten sich 1400 Schotten an einer Joint-Stock-Kompanie, indem sie nach verschiedenen Schätzungen ein Viertel bis die Hälfte des in diesem armen Land verfügbaren Kapitals investierten. Im Juli 1698 stachen fünf Schiffe in See, die 1200 Kolonisten und
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