Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
Geschmack entsprächen. Die alten Kostüme wurden weggepackt. Eine Frau namens Joseane Jacarandá zeigte sie mir in einem Hinterzimmer voller Fahnen, auf denen christliche Kreuze und muslimische Krummsäbel abgebildet waren. Ihr Enkel stolzierte mit einem riesigen Bischofshut durchs Wohnzimmer. In Jacarandás Augen blinkten Tränen der Wut. Seit mehr als zwei Jahrhunderten waren die Maroons weitgehend sich allein überlassen gewesen. Jetzt kam die Welt und richtete etwas zugrunde, was ihr lieb und teuer war.
Ganz anders beurteilte Dona Rosario den Umstand, dass die Maroons nun aus dem Verborgenen heraustraten. Drei Jahre vor meinem Besuch hatten Männer eine elektrische Leitung entlang des Igarapé Espinel verlegt. Ich hatte sie auf dem Weg zu ihrem Haus vom Boot aus gesehen – ein dünnes, schwaches Kabel, das am Ufer entlang von Baum zu Baum gespannt war. Mit dem Strom konnte sie das Ladegerät eines Handys betreiben – mit anderen Worten, sie hatte jetzt ein Telefon. Wenn jemand in ihrer Familie verletzt oder krank war, konnte sie Hilfe herbeirufen. Leute, die ihr Leben lang nur einen Telefonanruf von einer Ambulanz oder einem Polizeiwagen entfernt sind, können kaum begreifen, was diese Veränderung bedeutet. Oder die Veränderung durch eine zweite Anschaffung – eine Tiefkühltruhe. Bevor sie die Truhe hatte, musste sie die Açaí-Früchte immer sofort nach der Ernte verkaufen, damit sie nicht verdarben – sie konnte nicht auf bessere Angebote warten. Ohne Telefon war sie nicht in der Lage, sich nach den besten Preisen zu erkundigen. Da die Käufer ihre Situation kannten, hatten sie ihr die Ernte immer zu den denkbar schlechtesten Bedingungen abgenommen – sie hatte keine Alternative. Jetzt verarbeitete sie die Früchte zu Brei, den sie in der Kühltruhe aufbewahrte, bis sie ihn günstig verkaufen konnte. Açaí erfreut sich in den USA und in Europa größter Beliebtheit, weil es angeblich reich an Antioxidantien ist. Von dieser Beliebtheit konnte Dona Rosario jetzt profitieren.
Im Januar 2009 begegnete Dona Rosario auf ihrer Farm einer Gruppe von Landvermessern. Sie schlugen Pfähle ein und schlangen Bänder um Bäume, um ihren Besitz in kleinere Parzellen aufzuteilen. «Sie sagten: ‹Was für ein toller Standort für Açaí – teilen wir ihn auf und verkaufen wir ihn›», erzählte sie mir. Die Käufer hätten die hilflosen Besitzer mit Hilfe der Gerichte vertrieben – eine häufige Praxis in Amazonien, wie Dona Rosario nur zu gut wusste.
«Ich bekam einen Wutanfall», berichtete sie. «Ich sagte: ‹Dieses Land gehört mir, ich habe es bebaut.›» Die Landvermesser beachteten sie nicht. Nachdem sie das Land gekauft hatte, war ihr mitgeteilt worden, dass die Besitzurkunde ungültig sei, weil die Vorbesitzer fortgezogen seien, ohne ihre Steuern zu begleichen. Zehn Jahre lang hatte sie Steuern zurückgezahlt und das Besitzrecht erworben, während sie das Land wieder urbar machte. Als Kind hatte sie erlebt, wie ihre Eltern ein Stück Land nach dem anderen verloren hatten. Nun drohte ihr das Gleiche.
Ein Unterschied zwischen Dona Rosario und ihren Eltern bestand darin, dass sie ein Telefon hatte. Ein weiterer, dass sie etwas Kapital besaß – eine Kühltruhe voller Açaí-Brei und ein Bankkonto, auf dem sich eine kleine Summe befand. Mit dem Telefon rief sie Regierungsbeamte herbei und zeigte ihnen die Dokumente, während sie gleichzeitig drohte, mit ihrem Geld einen Anwalt zu beauftragen. «Sie schauten sich die Unterlagen an und sagten: ‹Hört mal, ihr könnt dieses Land nicht einfach stehlen.›» Daraufhin gaben die Landvermesser klein bei.
Die Händler auf dem Hauptmarkt von Belém an der Mündung des Amazonas verkaufen den Bauern der Region Baumsamen, damit sie den Wald durch Nutzbäume aufforsten können wie zum Beispiel Açaí, der wegen seines Fruchtsafts geschätzt wird, Bacuri, dessen Früchte wie süßsaure Papayas schmecken, und Bacaba, der in der Volksmedizin Verwendung findet.
Ähnliche Geschichten kann man überall in Amazonien hören. Sechs Monate, nachdem Dona Rosario die Landvermesser auf ihrer Farm gesehen hatte, unterzeichnete Brasiliens Präsident Inácio Lula da Silva die Provisorische Maßnahme [ MP =
medida provisória
] 458 , einen bemerkenswert ehrgeizigen Versuch, den Landbesitz in Amazonien zu regeln – eine Hauptursache für Gewalt und Umweltzerstörung während der letzten vierzig Jahre. Er verlieh Maroons Besitzrechte, wenn sie sich bereits auf dem Land
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