Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
demokratische Verfassung verabschiedet. Zwei Monate später wurde Mendes im Auftrag der Großgrundbesitzer umgebracht. Doch der Mord kam zu spät – was Mendes in Gang gesetzt hatte, war nicht mehr aufzuhalten. Unter anderem hieß es in der neuen Verfassung bereits: «
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Gemeinschaften sind die rechtmäßigen Besitzer des Landes, auf dem sie leben. Der Staat ist verpflichtet, ihnen entsprechende Besitzurkunden auszustellen.»
«Niemand erfasste die Auswirkungen dieser Regelung», sagte Alberto Lorenço Pereira, Staatssekretär für nachhaltige Entwicklung im brasilianischen Ministerium für Agrarentwicklung, das die nationale Landnutzungspolitik bestimmt. Als die neue Verfassung verabschiedet worden sei, berichtete er Hecht und mir, hätten ihre Autoren «lediglich ein paar übriggebliebene
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irgendwo in den Wäldern vermutet», deren älteren Bewohnern man ihre Felder lassen wollte. Heute glauben viele Forscher, dass in Brasilien möglicherweise bis zu 5000 erhalten sind, die – überwiegend im Amazonasbecken – insgesamt sechs Millionen Hektar oder rund 300 000 Quadratkilometer einnehmen, eine Fläche, ungefähr so groß wie Italien. Dabei umfassen die
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nicht nur ein riesiges Territorium, sondern erstrecken sich auch weitgehend entlang der Flussufer, was bedeutet, dass sie den Zugang zu einer noch größeren Fläche im Inneren kontrollieren. Der Konflikt sei unausweichlich gewesen, meinte Pereira. «Viele Leute wollen das Land.» [708]
Mir wurde klar, was er meinte, als ich den
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Mojú besuchte. Wir brachen in Belém auf und erreichten nach einer vierstündigen, mörderischen Fahrt die Stadt an der Mündung des Amazonas. Ihre zwölf miteinander verbundenen Siedlungen wurden Ende des 18 . Jahrhunderts von entlaufenen Sklaven gegründet. Fast zweihundert Jahre lang sei sie verborgen geblieben, berichtete mir Manuel Almeida, das Oberhaupt des
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Dorfverbands. Das Ende der Sklaverei habe keine Erleichterung gebracht. Zuerst kamen die Kautschukzapfer und ergriffen von Mojús Kautschukbäumen Besitz. Dann folgten die Holzunternehmen und schlugen alles Mahagoni und Brasilholz. In den 1960 er und 1970 er Jahren eigneten sich Rinderrancher das Land an – teilweise war der Besitz, obwohl kaum genutzt, noch immer eingezäunt, berichtete Almeida weiter. Zwei andere Firmen, die Kaolin abbauten, eine besondere weiße Tonerde, die für Porzellan- und Papierherstellung verwendet wird, hatten Rohrleitungen mitten durch das Dorf verlegt. Jetzt wollte eine Bauxitfirma – eine Tochtergesellschaft der Companhia Vale do Rio Doce, der größten Bergbaugesellschaft auf dem amerikanischen Kontinent – eine Pipeline für gemahlenen Bauxit zu einer großen Raffinerie westlich von Belém durch Mojú führen. All das sei ohne Erlaubnis oder Absprache geschehen, sagte Almeida. Aber die Regierung hatte den Unternehmen Konzessionen erteilt, die ihnen das Recht zu all dem gaben, weil der
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rechtlich gar nicht existierte.
Almeida sprach in seinem Haus mit uns, in einem Zimmer, das bis auf eine Hängematte und ein Kruzifix an der Wand kahl war. Hin und wieder kamen seine Frau und sein Bruder herein und boten ein Glas Wasser an. Er sagte, er habe gehört, dass brasilianische Unternehmen in der Region nach Erdgas suchten. US -amerikanische Unternehmen hätten die Absicht, Ferienorte an der Amazonasmündung zu bauen. Ein Mann sei mit Papieren gekommen, die ihm, wie er behauptet habe, das Recht gäben, eine Plantage für Ölpalmen anzulegen. Almeida sagte, Mojús zwölf Gemeinwesen gebe es seit zweihundert Jahren, und das müsse doch auch etwas zählen. [709]
Der Blick von Dona Rosarios Farm
Zwei Jahre nach der Umsiedlung Mazagãos von Nordafrika in die nördliche Amazonasregion feierten die Portugiesen ihre eigene Tapferkeit, indem sie den heiligen Jakobus ehrten, den Schutzheiligen des iberischen Kampfes gegen die Muslime. Für die Kolonisten muss es in ihrer Isolation am Äquator eine beunruhigende Zeit gewesen sein; laut Laurent Vidal, einem Historiker an der Universität von La Rochelle und Verfasser einer Studie über Mazagão, waren auch die Geistlichen äußerst bedrückt und sahen die christliche Zivilisation in Gefahr. Vielleicht war das der Grund, warum sie sich entschlossen, einen besonderen Moment in Mazagãos Geschichte hervorzuheben: den Tag zwei Jahrhunderte zuvor, als die Gunst des heiligen Jakobus dem Ort ermöglichte, einen Angriff des Sultans Abdallah al-Ghalib
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