Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
grausamen runden Knebel symbolisieren, die mit Riemen im Mund von widerspenstigen Sklaven fixiert wurden. Unheilvoll lauern an den Rändern des Geschehens
caboclinhos
– eine weitere abfällige Bezeichnung, die sich am besten mit «Rothäute» übersetzen lässt: indianische Spurenleser im Dienste der Portugiesen. Ihre Körper sind mit Pflanzenöl rot gefärbt, und auf den Köpfen entfalten grellbunt gefärbte Federn eine flammende Pracht. In dem schützenden Kreis treffen die Spurenleser auf die Afrikaner. Nach einem ritualisierten Kampf tragen die
caboclinhos
den Sieg davon; wenn die
lambe-sujos
durch die Straßen gezogen werden, flehen sie in einem letzten Versuch die Zuschauer um Geld an, um sich ihre Freiheit zu erkaufen.
In diesen afroindianischen Gemeinschaften sind die Zusammenhänge wahrhaft verwirrend: hier Menschen mit afrikanischen Vorfahren, die von schwarz geschminkten Darstellern verkörpert werden, da Menschen mit indigener Abstammung, die sich mit Afrikanern verbündeten und andere Indianer spielen, die gegen jene kämpften. Irgendwo auf diesem Zickzackkurs durch die Jahrhunderte bitten Afrikaner des 18 . und 19 . Jahrhunderts zeitgenössische Brasilianer um die Mittel, sich ihre Freiheit zu verschaffen.
Ständig von Sklavenhaltern gejagt, suchten die entlaufenen Sklaven und Indianer, die in Brasiliens
quilombos
zusammenwuchsen, natürlich spirituellen Trost – und fanden ihn in einer ungewöhnlichen Vielfalt religiöser Riten, in denen sich afrikanische mit indianischen und christlichen Elementen verbanden. Diese wächsernen Gliedmaßen hängen im Raum der Wunder in Salvadors Igreja do Bonfim – Votivgaben als Dank für Wunderheilungen in einer Kirche, die ein heiliger Ort sowohl für den Katholizismus wie für die afroindianische Religion Candomblé ist.
Rechtlich hatte man in Brasiliens
quilombos
nichts mehr zu befürchten, nachdem der Staat 1888 die Sklaverei abgeschafft hatte – niemand kam auf die Idee, geflüchtete Sklaven wieder gefangen zu setzen. Aber das Ende der Sklaverei war nicht gleichbedeutend mit dem Ende von Diskriminierung, Armut und Ausschreitungen gegen Maroons. Ihre Gemeinwesen hielten sich weiterhin verborgen und blieben den Blicken der Öffentlichkeit so gründlich entzogen, dass Mitte des letzten Jahrhunderts die meisten Brasilianer glaubten, es gebe keine
quilombos
mehr. In den 1960 er Jahren schauten die Generäle, die mittlerweile über Brasilien herrschten, auf ihre Karten und stellten zu ihrem Missfallen fest, dass rund sechzig Prozent des Landes leer waren – tatsächlich gab es dort indigene Gemeinwesen, Kleinbauern und
quilombos
, aber die zählten für die Regierung nicht. Nach Auffassung der Generäle war das Auffüllen der Leere eine Frage der nationalen Sicherheit. Im Rahmen eines atemberaubend ehrgeizigen Programms verbanden sie die neue, ultramoderne Hauptstadt Brasília – auch eines der Megaprojekte der Generäle –, die Westgrenze und die Amazonashäfen durch ein Netz von Fernstraßen, die das Landesinnere durchschnitten.
In den 1970 er und 1980 er Jahren drängten sich Hunderttausende von Migranten aus Zentral- und Südbrasilien auf diesen Straßen, weil sie den Versprechungen der Generäle, sie könnten ein neues Leben in den gerade entstandenen landwirtschaftlichen Siedlungen beginnen, Glauben geschenkt hatten. Stattdessen bekamen sie es mit schlechten Straßen, unergiebigen Böden und gesetzloser Gewalt zu tun: Totholz und Malaria. Viele Kleinbauern gaben ihre Farmen auf, kaum dass sie das Land gerodet hatten – es gibt nur wenig Jahrespflanzen, die auf Amazoniens aluminiumgesättigtem Boden gedeihen. Auf lange Sicht erging es auch den Großgrundbesitzern nicht besser, obwohl sie erhebliche Subventionen von der Militärregierung erhielten. Zunächst aber erklärten sie alle Menschen, die sie auf ihrem Besitz vorfanden, zu unrechtmäßigen Siedlern und vertrieben sie mit Waffengewalt. Auf diese Weise wurden zahllose
quilombos
ausgelöscht und ihre Bewohner in alle Winder zerstreut – vermutlich war auch Dona Rosarios Familie darunter.
Diese aggressiven Gründungen von landwirtschaftlichen Großbetrieben stießen weltweit auf Protest. Chico Mendes, eine Art brasilianischer Martin Luther King, initiierte eine internationale Kampagne für die Rechte der Bewohner Amazoniens auf ihr Land. Währenddessen bröckelte die Macht der Militärdiktatur, als Brasilien in eine Wirtschaftskrise stürzte. Im Oktober 1988 wurde eine neue
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