Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
befanden und weniger als achtzig Hektar besaßen, womit ein jahrhundertealter Kampf zu einem siegreichen Ende kam. Wenn man diese Tausende von Siedlungen aus dem Verborgenen hole, so Pereira, könne der Staat in Schulen und Kliniken investieren – was legal nicht möglich sei, solange ihre Existenz umstritten sei.
Gegen die MP 458 reichten Interessenvertreter der Industrie und Umweltschützer augenblicklich Klagen ein, die beide Seiten damit begründeten, die Gesetzesmaßnahme belohne illegale Landbesetzer. Ihre Sorge war leicht zu verstehen. Die Maßnahme überließ einen wesentlichen Teil des Amazonasgebietes seinen Bewohnern, und niemand wusste, was sie damit tun würden.
Zufällig besuchte ich Dona Rosario nicht lange nach Lulas Unterzeichnung. Auf ihrer entlegenen Farm hatte sie wenig von der neuen Maßnahme gehört. Als ihr Hecht davon erzählte, brachte sie ihre Zustimmung durch energisches Nicken zum Ausdruck. Ihre Vorfahren waren aus Afrika gekommen, hatten sich mit den indigenen Bewohnern Amerikas vermischt und etwas Neues hervorgebracht. Ihren verschiedenen Wurzeln treu, hatten sie den Wald bewirtschaftet; Dona Rosarios Meinung nach ist es kein Zufall, dass die wertvollsten und schönsten Gebiete Amazoniens voller
quilombos
sind.
«Wald» ist vielleicht das falsche Wort. Außenstehenden mag die Region als Wald erscheinen – undurchdringlich, dunkel und voller Gefahren. Menschen wie Dona Rosario sehen ihn anders: als einen Ort, den ihre Vorfahren bewirtschaftet und geprägt haben, indem sie alte Traditionen mit eigenen Methoden verbanden. Sie waren gezwungen, im Verborgenen zu bleiben, stets von Enteignung bedroht. Jetzt dürfen sie frei in ihrer Schöpfung leben – dem reichsten Garten der Welt.
Schluss Lebensströme
Kapitel 10 In Bulalacao
Fragmentierte Bewusstseinstätigkeit
Auf den Philippinen lernen Kinder das Volkslied
Bahay Kubo
– der Titel bezeichnet das aus Palmblättern gefertigte traditionelle Einraumhaus der Inseln. Auf Pfählen erbaut, um Überflutungen zu vermeiden, und offen für die kühlende Brise war das
bahay kubo
von üppigen Anpflanzungen voller Obst und Gemüse umgeben. Wenn die Bewohner auf der hohen Treppe saßen, konnten sie sich am Anblick und Duft des Familiengartens erfreuen. Wie der Countrysong
Home on the Range
beschwört
Bahay Kubo
nostalgisch die Werte der einfacheren und vielleicht besseren Zeit, als es noch keine Handys und Computer gab, weder verrücktspielende Aktienmärkte noch gestresste Pendler – nur dass das Lied
Bahay Kubo
, anders als
Home on the Range
, das die Schönheit der unberührten Wildnis preist, eine gänzlich vom Menschen gestaltete Landschaft verherrlicht.
Bahay kubo, kanit mandi
, singen die Kinder auf Tagalog, der wichtigsten Sprache der Inseln.
Ang halaman doon, ay sari-sar.
Obwohl mein Palmblätterhaus klein ist, besitzt es viele Pflanzen. Im weiteren Verlauf des Liedes werden die Elemente eines idealisierten philippinischen Gartens aufgezählt:
Yambohne und Aubergine, Flügelbohne und Erdnuss,
Spargelbohne, Limabohne, Helmbohne,
Wachskürbis, Schwammkürbis, Flaschenkürbis und Riesenkürbis,
Außerdem gibt’s noch Rettich, Senf,
Zwiebel, Tomate, Knoblauch und Ingwer!
Und allüberall sind Sesamsamen. [710]
Die Botaniker in Manila, die mir von diesem Lied erzählten, lachten, als sie den Text aufschrieben. Jede einzelne diese altehrwürdigen, traditionellen Gartenpflanzen, sagten sie, sei in Wirklichkeit eine importierte Art, die ursprünglich in Afrika, Amerika oder Ostasien zu Hause sei. Wie mein eigenes Tomatenbeet ist der in
Bahay Kubo
besungene Garten ein modernes exotisches Objekt. Weit davon entfernt, ein Ergebnis uralter Sitten und Gebräuche zu sein, stellt er ein polyglottes, kosmopolitisches, durch und durch zeitgenössisches Artefakt dar.
Die Botaniker, die mir das erzählten, traf ich in der örtlichen Niederlassung von Conservation International, einer Umweltorganisation mit Hauptsitz vor den Toren Washingtons. Die Flure und Türen des Büros waren voller Poster und Flyer im Stil von Steckbriefen, die vor den Gefahren invasiver Arten warnen. Seit Legazpi in den 1560 er Jahren die Philippinen anlief, sind Hunderte von exotischen Geschöpfen auf den Inseln heimisch geworden. Eingeführte Fische wie Buntbarsch und Pangasius haben fast alle örtlichen Fischarten in den philippinischen Seen ausgerottet. In den Parks der Inseln sind einheimische Palmen und Büsche von südamerikanischen Sträuchern verdrängt
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