Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
zurückzuschlagen, des mächtigen Herrschers über den größten Teil des Gebietes, das heute Marokko ist. Etwas von dieser Feier muss den Anwesenden im Gedächtnis geblieben sein – nicht nur den Kolonisten, sondern auch den Sklaven. Als die Portugiesen Vila Nova Mazagão verließen, übernahmen die Sklaven ihre Rollen in dem Ritual. Jahrzehnte, nachdem der letzte Europäer fortgegangen war, inszenierten die afrikanischen und indianischen Bewohner noch immer die ferne Schlacht zwischen Islam und Christentum. Sie tun es bis auf den heutigen Tag.
Im Laufe der Zeit ist die Feier immer komplizierter geworden, immer mehr in ihren Ritualen erstarrt, hat sich immer weiter von den tatsächlichen Ereignissen entfernt. Der Kampf, den die Maroon-Nachkommen heute auf ihrem Fest nachspielen, ist ganz anders als die Schlacht, von der die Gründer von Vila Nova Mazagão berichteten. Sultan Abdallah ist verschwunden und durch einen muslimischen Heerführer ersetzt, der rätselhafterweise Caldeira (Dampfkessel) heißt. Weil Caldeira mit seiner Belagerung die Mauern von Mazagão nicht überwinden kann, versucht er es mit einer List, die an das Trojanische Pferd erinnert. Er gibt das Scheitern seines Angriffs zu und erklärt, er wolle den Mut der Christen mit einem Maskenball ehren, auf dem er Platten mit süßen Delikatessen servieren werde – ein Labsal für hungrige Soldaten. Tatsächlich hat der Sultan vor, die portugiesischen Soldaten auf dem Maskenball zur Flucht zu überreden. Die Kämpfer, die loyal bleiben, bekommen die Leckereien, die vergiftet sind. Klugerweise misstrauen die Portugiesen den Süßigkeiten. Heimlich füttern sie Caldeiras Pferde damit, die prompt verenden. Auf dem Ball geben sie auch seinen Männern von den Leckerbissen, die daran sterben. Auf die gleiche Weise bringen sie Caldeira um. Am Morgen ist die Tanzfläche von Leichen übersät.
Zürnend über den Tod des Vaters greift Caldeiras Sohn Caldeirinha (Kleiner Dampfkessel) die Festung an. Die erschöpften Christen werden von den rachedürstenden Muslimen überwältigt. Um sie noch weiter zu demoralisieren, befiehlt der Kleine Dampfkessel seinen Männern, alle Kinder der Stadt zu entführen. Nun ihrerseits voll Zorn und Rachedurst, gehen die Christen zum Gegenangriff über. Das Schlachtenglück wendet sich, als der Tag sich neigt. Die Portugiesen erkennen, dass die Nacht den Muslimen Gelegenheit geben wird, sich zurückzuziehen und neu zu ordnen, deshalb beten sie um mehr Zeit. Der heilige Jakobus im Himmel erhört die Gebete der Portugiesen. Seine heiligen Finger greifen nach der Sonne und hindern sie am Untergang. Dank dieser zusätzlichen Stunde Tageslicht gelingt es den Christen, das Heer des Kleinen Dampfkessels zu vertreiben und ihn dabei gefangen zu nehmen.
1915 sahen sich viele Bewohner von Vila Nova Mazagão wegen einer Epidemie gezwungen, die Stadt erneut zu verlegen – in ein Gebiet, das sich ungefähr eine Stunde flussabwärts befand. Sie nannten diese dritte Neubildung Mazagão Nova; die zweite wurde umgetauft in Mazagão Velho, Alt-Mazagão. Am Ende missfiel aber vielen Maroons die neue Stadt, weil sie zu leicht zugänglich war. Daher kehrten sie nach Mazagão Velho zurück. Abermals erwies sich das Festspiel als eine Möglichkeit, die Einheit eines Gemeinwesens zu bewahren, das sich über Dutzende von Flüssen erstreckte. Es hat sich zu einem prachtvollen Schauspiel entwickelt, das eine fiktive Vergangenheit beschwört mit dem Verteilen von «vergifteten» Süßigkeiten, einem nur von Männern bestrittenen Maskenball, der «Steinigung» eines muslimischen Spions mit Tomaten und Apfelsinen, der «Entführung» von Kindern und einer stilisierten Schlacht von Reitern in orangefarbenen und grünen Kostümen.
Eines Morgens fuhr ich mit einem Kahn zu einem Besuch nach Mazagão Velho. Die Flüsse waren voller Boote, die Kinder in die Schule brachten – eines beförderte eine komplette Fußballmannschaft, stolz in den selbst geschneiderten Trikots. Die Stadt bereitete sich auf die Festspiele vor. Jemand testete die Lautsprecher an der Hauptkirche mit Carimbó, der Tanzmusik vom Unterlauf des Amazonas. Fahnen und Wimpel schwenkend liefen die Kinder von den Booten in ihre Klassenzimmer.
Die Fröhlichkeit überdeckte einen Meinungsstreit in der Stadt. Man erzählte uns, dass Zugezogene versuchten, aus den Festspielen eine Touristenattraktion zu machen. Sie ersetzten die alten Kostüme und Masken durch neue, die eher dem internationalen
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