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Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Titel: Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles C. Mann
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in dem Bericht weiter, «verbreitete sich das Rauchen … und heute können im Südwesten weder Alt noch Jung anders, als von morgens bis abends zu rauchen.» Als Kind in den 1630 er Jahren hatte der Schriftsteller nie vom Tabak gehört. Als er zum Erwachsenen heranwuchs, so erinnerte er sich später, «änderten sich die Sitten plötzlich, und alle Menschen, selbst Jungen, die kaum vier Fuß groß waren, rauchten». [357]
    «Der Tabak ist überall», verkündete eine Schrift, die augenscheinlich Chinas erster Ratgeber für das Rauchen war. Die Legionen von Rauchern in der Qing-Dynastie, die die Pflanze «Goldfadenrauch» und «Liebeskrank-Gras» nannten – Letzteres eine Anspielung auf ihr Suchtpotenzial –, dürften wohl die leidenschaftlichsten Nikotinsklaven der Erde gewesen sein. Eine demonstrative Tabaksucht wurde zum Erkennungszeichen der Schönen und Reichen. Männer rühmten sich, ohne eine brennende Pfeife weder essen noch Gespräche führen oder auch nur denken zu können. Frauen trugen spezielle seidene Tabakbeutel, die mit kostbaren Schmuckschließen versehen waren; um ihre luxuriösen weiblichen Düfte vor dem strengen Rauchgeruch zu schützen, benutzten sie extra lange Pfeifen, die teilweise so groß waren, dass sie von Dienern herumgetragen werden mussten. Unter Chinas wohlhabenden Ästheten entstand eine poetische Sondergattung – die Hymne an den Tabak:
    Wohlgerüche einsaugend, der Weisen Dünste exhalierend;
    Blaue Ranken, aus feinem Rauch geboren.
    Des Herrn Gefährte wärmt mir das Herz
    und macht meinen Mund zur göttlichen Feuerstelle.
    Aristokratische Damen betteten ihre Köpfe während der Nachtruhe auf speziellen Blöcken, sodass sie frisiert und geschminkt werden konnten, bevor sie ausgeschlafen hatten, was die Zeit zwischen Erwachen und dem ersten Tabak des Tages verkürzte. «Die Szene ist schwer vorstellbar», meint Timothy Brook dazu, der kanadische Historiker, auf dessen Studien über die chinesische Tabakkultur ich mich hier stütze.
    Brook fand den Bericht über die schlafenden Raucherinnen in Chen Congs
Yancao pu
(Tabakhandbuch), einer gelehrten Sammlung von Gedichten und Geschichten über den Tabak aus dem Jahr 1805 . Noch obskurer ist Lu Yaos
Yan pu
(Raucherhandbuch), das um 1774 erschien. Lu, ein ehemaliger Provinzgouverneur, stellte Regeln für den Nikotinkonsum in aristokratischen Kreisen auf. Wie ein modernes Benimmbuch nennt der Leitfaden eine Reihe von Anlässen, bei denen man rauchen oder nicht rauchen sollte: «Man sollte rauchen: nach dem Aufwachen; nach einer Mahlzeit; mit Gästen; beim Schreiben; wenn man beim Lesen müde wird; wenn man auf einen guten Freund wartet, der noch nicht gekommen ist. Man sollte nicht rauchen: während man die Zither spielt; Kraniche füttert; Orchideen bewundert; die Pflaumenblüte betrachtet; den Ahnen opfert; die morgendliche Hofversammlung besucht; mit einer schönen Frau schläft.» [358]
    Aus heutiger Sicht erscheint das blumige Loblied auf den Tabak kurios, doch es gab in anderen Ländern ähnlich seltsame Beispiele. Zu der Zeit, als Lu Yao seine Rauch-Etikette verfasste, konsumierten wohlhabende Engländer in öffentlichen Sitzungen mit festen Ritualen Schnupftabak: fein gemahlene Tabakstängel. Ihre Schnupftabakdosen aus Silber oder Elfenbein öffnend – «ein Fetisch des 18 . Jahrhunderts», wie der Anthropologe Berthold Laufer schreibt –, nahmen sich junge Modegecken mit fingerlangen beinernen Löffeln eine Prise frisch gemahlenen Schnupftabak heraus. Die Gespräche rundum verstummten, wenn sich Männer in bestickten Westen gleichzeitig winzige Mengen davon in die Nase stopften und dann spitzenbesetzte Taschentücher mit einer eleganten Handbewegung entfalteten, um die anschließenden Niessalven zu dämpfen. Sich mit den Geheimnissen des Schnupftabaks vertraut zu machen, lohnte sich für den Süchtigen: Geschnupfter Tabak gibt das Nikotin rascher an die Blutbahn ab als Zigarettenrauch. Kaum jemand war von dem Ritual so fasziniert wie der gefeierte Londoner Dandy Beau Brummell, der behauptete, für jeden Tag des Jahres eine andere Schnupftabakdose zu haben. Brummell unterwies die anderen Kavaliere in der feinsinnigen Kunst, die Dose mit nur einer Hand zu öffnen, ihr eine Prise zu entnehmen und sie in die Nase zu befördern. Diese Einführung musste mit einer flotten Kopfbewegung abgeschlossen werden, um hässliche braune Tropfen zu vermeiden. [359]
    Der Schnupfwahn hatte in England außer Unterbrechungen des

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