Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
lebten», schreibt Crosby, «wuchsen schon Erdnüsse in dem sandigen Lehmboden bei Schanghai; im Süden Chinas erstreckte sich das Grün der Maisfelder, während in Fujian die Süßkartoffel zum Grundnahrungsmittel des armen Mannes wurde.» [361] Heute ist China mit drei Vierteln der Welternte der größte Süßkartoffelproduzent der Erde; bei der Maisproduktion steht es an zweiter Stelle. [362]
Charakteristisch für Chinas Experimentierfreude war der Kaufmann Chen Zhenlong aus Yueyang, der Anfang der 1590 er Jahre bei einem Besuch in Manila die Süßkartoffel kennenlernte. Auf die wahrscheinlich aus Zentralamerika stammende
Ipomoea batatas
war Colón bei seiner ersten Reise gestoßen; [363] die Spanier hatten sie auf die Philippinen gebracht, wo sie rasch von den Malaien übernommen wurde, die bereits Taro, die Wasserbrotwurzel, anbauten. Chen, dem der Geschmack gefiel, beschloss, Süßkartoffeln mit nach Hause zu nehmen. «Er bestach die Barbaren, um Abschnitte ihrer Ranken von mehreren Fuß Länge zu bekommen», berichtete sein Urururenkel im «Wahren Bericht über die Anpflanzung von Süßkartoffeln in Qinghai, Henan und anderen Provinzen» ( 1768 ), ein auf Buchlänge ausgedehntes Loblied auf die Süßkartoffel-Großtaten seiner Vorfahren. Chen verbarg die Ranken, indem er sie um Seile flocht und die Seile in einem Korb verstaute. Die spanischen Zollbeamten – denen es ohnehin nicht speziell darum ging, die Ausfuhr von Süßkartoffeln zu verhindern, vielmehr versuchten die Spanier generell, den Chinesen alles vorzuenthalten, woraus diese einen Handelsvorteil hätten ziehen können – bemerkten nichts. Und so schmuggelte Chen die Süßkartoffeln nach China. «Obwohl die Ranken verwelkt waren», schrieb sein Urururenkel später, «erholten sie sich, als er die Setzlinge in die unfruchtbare Erde steckte».
In China werden Süßkartoffeln häufig roh gegessen, wobei die Schale so weggeschnitten wird, dass die Wurzel aussieht wie eine Eiswaffel.
Die 1580 er und 1590 er Jahre waren ein intensiver Abschnitt der Kleinen Eiszeit – zwei Jahrzehnte, in denen heftiger, kalter Regen die fujianesischen Täler überflutete, Reisfelder fortspülte und die Pflanzen ertränkte. Hungersnöte gingen mit den Regenfällen einher. Arme Familien mussten Rinde, Gras, Insekten und sogar die Samenkörner aus Wildgänsekot essen. Chen Zhenlong und seine Freunde scheinen die
fanshu –
die «fremden Knollen» – ursprünglich für eine originelle Neuheit gehalten zu haben; sie verteilten sie als Geschenke, ein oder zwei Scheiben jeweils, hübsch in einer Schachtel verpackt. Botanisch betrachtet, ist
fanshu
eine falsche Bezeichnung;
I. batatas
ist eine modifizierte Wurzel, keine Knolle im eigentlichen Sinn. Als der Hunger sich verschärfte, zeigte Chens Sohn Chenjinglun die
fanshu
dem Provinzgouverneur, dessen Ratgeber er war. Chen der Jüngere erhielt den Auftrag, in der Nähe seines Hauses eine Versuchspflanzung anzulegen. Die erfolgreichen Ergebnisse bewogen den Gouverneur, Setzlinge an die Bauern zu verteilen und sie in Anbau und Lagerung des neuen Nahrungsmittels unterweisen zu lassen. «Es wurde ein reiche Herbsternte; nah und fern gab es Nahrung im Überfluss, und die Gefahr einer Katastrophe war gebannt», frohlockte der Urururenkel. In der Umgebung von Yueyang lebten mehr als achtzig Prozent der Einheimischen von Süßkartoffeln. [364] [23] [365]
Staatliche Förderung beim Anbau ausländischer Nutzpflanzen war nichts Neues in Fujian. Einige Zeit vor dem Jahr 1000 hatten fujianesische Kaufleute eine neue Reissorte – früh reifenden Champa-Reis – aus Südostasien mitgebracht. Da der neue Reis sich schneller ernten ließ, konnte er in Gebieten mit einer kürzeren Wachstumssaison angebaut werden. Durch intensive Züchtung entwickelten die Bauern neue Sorten, die so rasch reiften, dass auf einem Feld zwei Ernten pro Jahr möglich wurden – einmal Reis und dann noch Weizen oder Hirse. Mit der Möglichkeit, die doppelte Erntemenge aus einem Stück Land herauszuholen, übertrafen die chinesischen Bauern alle anderen Bauern der Erde. Die damals herrschende Song-Dynastie förderte die neue Reissorte mit verschiedenen Maßnahmen: kostenloser Verteilung von Saatgut, Veröffentlichung bebilderter Anleitungen, Entsendung von Regierungsbeauftragten, die die Anbautechniken erklärten, und sogar der Gewährung zinsgünstiger Darlehen, um den Kleinbauern die Umstellung zu erleichtern. Diese offensive, staatlich geförderte
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